Kirche in Indien: Diskriminiert, aber gelassen

09. Mär 2011

Indien - Erzbischof Leo Cornelio SVD berichtet anlässlich des 4. Internationalen Kongresses von KIRCHE IN NOT in München über die Situation der Kirche in Indien.

Kirche in Not: Herr Erzbischof, die Nachrichten über die Situation der Christen in Indien sind Besorgnis erregend, immer wieder ist von Anschlägen durch radikale Hindus zu hören. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Erzbischof Leo Cornelio: Indien ist die größte Demokratie der Welt und hat nicht nur viele Religionen hervorgebracht, sondern zeichnet sich auch durch viele kulturelle und sprachliche Unterschiede aus. Trotz dieser Unterschiede und trotz aller Spannungen ist Indien im Großen und Ganzen ein friedliches und tolerantes Land, in dem Menschen aus verschiedenen Religionen und Kulturen harmonisch zusammenleben.

Indien wurde von anderen oft als "goldener Vogel" betrachtet. Deshalb gab es viele Invasionen ausländischer Mächte, die den Reichtum unseres Landes raubten. Darum sind die meisten Inder misstrauisch gegenüber Ausländern. Das Christentum ist nun in der Vorstellung der Menschen eine "ausländische Religion", die mit den Briten, Amerikanern und anderen europäischen Einwanderern verbunden ist. Die Erfahrungen mit diesen Ausländern hat das Bild des Christentums als "Religion der Herrscher" geprägt. Es wird außerdem von meisten Menschen anderen Glaubens als eine aggressiv missionierende und bekehrende Religion angesehen. Das hat zur Folge, dass ein gewisses Gefühl der Unsicherheit gegenüber dem Christentum vorherrscht, auch wenn viele uns als friedliebend kennen. Diese Wahrnehmung beeinflusst den Alltag von Christen in manchen Regionen Indiens.

Gläubige Hindus sind friedliebend und glauben nicht an Gewalt oder Blutvergießen. Es sind nur die Machthungrigen und politisch Motivierten, die ihre Religion als Vorwand nehmen, um Einfluss zu erhalten. Im Zusammenhang mit der Wiederbelebung des Hindu-Bewusstseins beobachte ich zurzeit eine Polarisierung der Religionszugehörigkeiten. Einige Hindu-Organisationen wie die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) oder die Vishwa Hindu Parishad (VHP), verbinden sich mit politischen Parteien wie der Bharatiya Janatha Party (BJP). Alle diese Extremisten haben die Christen zu ihren Gegnern erklärt - alles unter dem Deckmantel des Patriotismus oder Idealismus. Ihnen ist eines gemeinsam: die Theorie "einer Nation", die sich durch Religion definiert. Glücklicherweise durchschauen heutzutage immer mehr Menschen den selbstsüchtigen Plan derer, die Religion als eine Waffe benutzen, um Macht zu gewinnen.

Das Christentum stößt in Indien außerdem auf Widerstand, weil es auf der Seite der Armen und Ausgegrenzten steht. Wir setzen uns für Gerechtigkeit, Gleichheit, Ehrlichkeit und für die Würde aller Menschen in unserer Gesellschaft ein. In einer Gesellschaft, die an Kasten, Klassen und Geschlechterdiskriminierung glaubt, ist das eine Bedrohung, die unterdrückt oder ausgelöscht werden muss. Die Kirche verhält sich im Umgang mit anderen Religionen gemäß dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Lehre der Kirche: Wir treten in einen Dialog mit Menschen anderen Glaubens. Doch der interreligiöse Dialog hat es oft nicht geschafft, die Menschen an der Basis zu erreichen.

Wie sieht es bei Ihnen im Bistum aus? Werden hier die Katholiken diskriminiert?

Bhopal ist die Hauptstadt des Bundesstaates Mahya Pradesh und blickt auf eine große Geschichte zurück. Alle Religionen leben hier zusammen, auch wenn die Mehrheit der Menschen Hindus sind. Im Vergleich zu vielen anderen Regionen Indiens ist Bhopal eine friedliche Stadt. Wir haben zwar eine Regierung der BJP, trotzdem werden die Christen nicht übermäßig schikaniert.

Die fundamentalistischen Hindu-Gruppierungen werden von den Reichen und Mächtigen dazu angestachelt, christliche Gemeinschaften oder Einrichtungen zu belästigen. Wir beobachten Diskriminierung, wenn es um Studienbeihilfen oder Arbeitsplätze geht. Christen, die der untersten gesellschaftlichen Kaste, den Dalits, oder Naturvölkern angehören, werden jegliche Privilegien verwehrt. Darum ist es eine Tatsache, dass es in Mahya Pradesh und in anderen Bundesstaaten Diskriminierung gegen Christen gibt. Das ist der Preis, den wir für unseren Glauben zahlen müssen. Wir versuchen unser Bestes, die Regierung und das Parlament zu überzeugen, dass sie solch eine ungerechte Behandlung ihrer Bürger anprangern und jeden Menschen respektieren sollten – ganz gleich, welcher Kaste, Klasse oder welchem Glauben er angehört.

Bei diesem Engagement hilft es uns, dass die Menschen unsere Dienste schätzen. Unsere Schulen in Städten und Dörfern werden von reichen und armen Kindern gleichermaßen besucht. In meiner Erzdiözese leben zwar nur 15000 Katholiken und etwa gleich viele Christen anderer Konfessionen, aber der Dienst, den diese kleine Gruppe an der Gesellschaft leistet, ist unvorstellbar. Unsere Priester, Ordensleute und Laien kümmern sich um alle, die von der Gesellschaft ausgestoßen werden: Lepra- und HIV-Kranke, Tuberkulosepatienten, Straßenkinder, alte und obdachlose Menschen, misshandelte Frauen sowie verwahrloste Kinder. Die Menschen fragen mich, warum wir das tun. Ich kann ihnen von der mitleidsvollen Liebe Jesu Christi und Gottes Hingabe an die Armen erzählen. Mutter Teresa sah Christus in jedem Armen. Sie war ein Mensch, der alle Inder beeindruckt hat.

Wie ist die Entwicklung der Kirche in Ihrem Land? Gibt es ähnliche Tendenzen der Säkularisierung wie in westlichen Staaten?

Obwohl Indien offiziell ein säkulares Land ist, in dem jede Religion dieselben Rechte haben sollte, ist der Hinduismus doch die größte Religion und spielt deshalb auch die Hauptrolle im sozialen und politischen Leben der Menschen. Etwa 13 Prozent der Bevölkerung gehören dem Islam an. Die Geschichte der indischen Kirche geht auf den Apostel Thomas zurück, und ich kann sagen, dass wir wachsen. Das lässt sich allerdings weniger statistisch messen als vielmehr dadurch, dass wir in wichtigen Gebieten, wie der Erziehung oder der Gesundheitsversorgung, beachtlichen Einfluss erreicht haben. Wir engagieren uns in Bereichen, in denen die Regierung nur zögerlich gehandelt hat.

Dass die Kirche für die Werte des Evangeliums eintritt, hat ihr oft Konflikte mit den traditionellen Werten der indischen Gesellschaft eingebracht. Aber im Großen und Ganzen werden wir heute respektiert und stehen als Fackel der Hoffnung inmitten einer nicht gerade perfekten Gesellschaft. Vor allem der Vorwurf, wir würden Menschen zum Glaubenswechsel zwingen wollen, wird von Fanatikern oft als Waffe benutzt. In einigen Bundesstaaten hat das dazu geführt, dass Gesetze gegen den Glaubenswechsel eingeführt wurden.

Unser Volk ist religiöser in seinem Lebensstil, als es im Westen üblich ist. Vor Kurzem hat eine Studie herausgefunden, dass 98 Prozent aller jungen Menschen an Gott glauben und ihre Religion praktizieren. Für jeden einzelnen Inder hat alles, was in seinem Leben geschieht, einen religiösen Bezug. Religion gehört zu unserer Identität. Obwohl nur etwa 2,3 Prozent der Inder Katholiken sind, beobachten wir überall eine dynamische Kirche.

Neben der römisch-katholischen Kirche gibt es in Indien, vor allem in Kerala, noch zwei mit Rom unierte Kirchen mit völlig anderer Tradition, die syro-malabarische Kirche und die syro-malankarische Kirche. Wie sind Ihre Kontakte zu diesen Kirchen?

Wir haben ein gesundes Verhältnis untereinander. Heutzutage sind wir uns stärker bewusst als früher, dass die katholische Kirche viele Riten vereint. Das liegt vor allem daran, dass wir uns früher nicht so häufig begegnet sind wie heute. Jeder Ritus, jede Kirche hat eine eigene Tradition. Die syro-malabarische Kirche und die syro-malankarische Kirche stammen aus dem südindischen Bundesstaat Kerala. Die Gläubigen dieser Kirchen in anderen Bundesstaaten waren darum lange Zeit nur Eingewanderte. Erst in letzter Zeit findet auch so etwas wie eine Evangelisation statt. In unserem Bundesstaat Madhya Pradesh gibt es drei syro-malabarische Eparchien und sechs römisch-katholische Diözesen, die weitestgehend brüderlich zusammenarbeiten. Wir treffen uns in der CBCI, der Vereinigung aller drei katholischen Kirchen, und jede einzelne Kirche trifft sich zusätzlich alle zwei Jahre zu einer Konferenz oder Synode.

Mehr und mehr wächst der ökumenische Zusammenhalt zwischen den Kirchen und christlichen Konfessionen in unserem Land. Da wir Christen in Indien eine kleine Minderheit sind, können wir uns nicht bei dem aufhalten, was uns trennt, sondern wir pflegen den Glauben an Jesus Christus und das Wort Gottes als Grundlage für unsere Einheit. So kommt es, dass uns heute, wenn wir von außen Bedrohungen durch Extremisten ausgesetzt sind, unser gemeinsamer Glaube zusammenbringt. Es gibt subtile Bestrebungen, Christen in Indien auszugrenzen. Darum dürfen wir es nicht zulassen, dass wir untereinander gespalten sind.

Was können die deutschen Katholiken von den indischen lernen?

Jede Länderkirche spielt eine wichtige Rolle in der Weltkirche. Der Geist der Solidarität, der Brüderlichkeit und des Teilens in der katholischen Kirche ist ein sichtbares Zeichen von Christi vergebender Liebe. Die deutsche Kirche war immer eine großzügige Kirche, die ihre finanziellen Mittel mit ihren Geschwistern weltweit geteilt hat und die auch Ordensleute und Priester in alle Welt aussandte, um zu helfen.

Die indische Kirche kann dagegen nur "ihre Armut und ihre Not" teilen, wie es Papst Johannes Paul II. so schön gesagt hat. Die Familie hat in der indischen Gesellschaft einen großen Wert, besonders in der indischen Kirche. Unsere Jugend hält meistens guten Kontakt zu ihren Familien, selbst wenn sie einmal wegziehen muss, um anderswo Arbeit zu finden. Das ist sicher ein Vorbild.

Außerdem steht die indische Kirche auf vier Arten in einem Dialogprozess: Mit anderen Religionen, mit den Armen, mit den Ausgegrenzten und mit der Schöpfung. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass die Mehrheit der Inder glücklich mit ihrem Leben ist und dass sie in der Lage ist, sich an ihre Lebensbedingungen anzupassen. Es herrscht eine große Gelassenheit gemäß dem Satz: "Herr, gib mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, die Dinge zu akzeptieren, die ich nicht ändern kann, und die Weisheit, beides voneinander zu unterscheiden."

Jeder Gläubige versucht, seine christliche Identität in einem multireligiösen und multikulturellen Umfeld zu finden. Natürlich haben auch wir unsere Probleme, aber dadurch, dass wir unsere Unterschiede akzeptieren und mit gegenseitigem Respekt leben, helfen wir dem Wachstum der Kirche. Vielleicht könnten einige dieser Erfahrungen der deutschen Kirche helfen. Früher war Europa ein christlicher Kontinent. Ich hoffe, dass es bei Ihnen eine Wiederbelebung des Glaubens geben wird, einen "neuen Frühling", wie Papst Johannes Paul II. es ausgedrückt hat. Ich bete für Sie und für Ihre positive Entwicklung!

Weitere Informationen über Kirche in Not.

Das Interview führte Ernst Schlögel

Veröffentlicht von Ruth Steiner (Missionsprokur St. Gabriel International)

Datenschutzhinweis

Diese Webseite nutzt externe Komponenten, wie z.B. Facebook und Youtube welche dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Datenschutzinformationen