Losgelöst vom Holz des Kreuzes

„Bei einem Besuch in der Buchbinderei von Christine Weiner in St. Gabriel habe ich dieses besondere Kruzifix entdeckt und seine Geschichte erfahren“, erzählt der Perchtoldsdorfer Künstler Paul Gith. Am 12. April 1986 – also fast auf den Tag genau vor 34 Jahren – um drei Uhr früh entstand in der Missionsdruckerei St. Gabriel auf Grund einer schadhaften Stromleitung ein Großbrand, durch den die gesamte Versandabteilung, die angrenzenden Buchbindereiräume und mehr als 100.000 Bücher sowie 40.000 versandbereite Zeitschriften in Flammen aufgingen. Mehr als 200 Feuerwehrmänner waren im Einsatz, aber sie konnten das Inferno nicht verhindern. Das Kruzifix, das in den Räumen der Buchbinderei gehangen war, konnte von den in der Druckerei tätigen Steyler Brüdern geborgen werden. Es war beschädigt und von den Löscharbeiten gezeichnet, doch für die Brüder stand fest: Wir hängen dieses Kreuz wieder auf! Noch heute hängt es in den Räumen der Buchbinder-Werkstatt, die nach der Schließung der Druckerei von Christine Weiner mit den alten Maschinen weitergeführt wird.
„Das schwer in Mitleidenschaft gezogene Kruzifix hat mich tief berührt“, sagt Paul Gith. „Es ist für mich gerade jetzt in der Corona-Krise ein Symbol für die Auferstehung. Ich habe das Bild in meine aktuelle Situation hineingenommen – und es hat seine Wirkung entfaltet.“ Gith bearbeitete ein Foto des Kruzifixes am Computer derart, dass der Corpus sich vom Holz des Kreuzes loslöst. „Der Tod und das Leid sind nicht das Ende, es bricht etwas Neues auf.“ Die freigestellte Christusfigur scheint die Faust zu ballen: „Ich wollte damit ausdrücken, dass Jesus uns zuruft: Ich lebe! Meine Botschaft lebt weiter!“ Der Maler und Grafiker hat das bearbeitete Foto mit seinen Ostergrüßen an Freunde und Verwandte verschickt und viele positive Rückmeldungen bekommen. „Ich habe das Bild verändert, das Bild hat meine Gedanken verändert“, stellt Gith fest.