"Die Arbeit mit Flüchtlingen ist unser Auftrag"

08. Jan 2021

Vor 20 Jahren kam P. Patrick Kofi Kodom als erster afrikanischer Steyler Missionar nach Österreich, um hier in der Migrantenseelsorge zu arbeiten. Nun kehrte er in seine Heimat Ghana zurück.

Pater Kofi Kodom SVD

Es ist ein grauer Wintertag Ende Dezember 2020, als Pater Patrick Kofi Kodom in Wien-Schwechat das Flugzeug besteigt, das ihn nach Afrika bringen wird. Im März 2001 hat hier das Abenteuer Europa für den jungen Missionar aus Ghana begonnen. Auf fünf Jahre hatte er seinen Missionseinsatz in Österreich angedacht, nun sind fast 20 Jahre daraus geworden. Eine Zeit, in der Pater Kodom in Österreich zum Vorreiter und Wegbereiter für die Seelsorge mit Flüchtlingen wurde – und dabei durchaus auch persönliche Erfahrungen einbringen konnte: Er weiß, was es heißt, an fremden Orten neu anzufangen, neue Sprachen zu erlernen und sich in eine andere Kultur einzuleben. Und er weiß, wie es sich anfühlt, als Schwarzafrikaner in Österreich mit Alltags-Rassismus konfrontiert zu werden.

„A“ wie Austria

Als Patrick Kofi am 23. August 1969 (an einem Freitag, wie sein Vorname „Kofi“ verrät), im kleinen Dorf Kranka im Zentrum Ghanas zur Welt kommt, ist nicht absehbar, dass er einmal als Missionar nach Europa gehen wird. Der Sohn einfacher Bauern wird katholisch getauft, obwohl es in der Familie auch Anglikaner, Muslime und Anhänger von Naturreligionen gibt.
Bei den Gottesdiensten in der kleinen Kapelle kommt Kofi Kodom in Kontakt mit den Steyler Missionaren. Der aus Österreich stammende Pater Toni Fencz ist sein Pfarrer, im Knabenseminar sind Steyler Missionare als Lehrer tätig. Die Internationalität des Ordens spricht den jungen Mann an, 1992 tritt er in die „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ ein. Nach dem Philosophiestudium und Noviziat in Tamale/Ghana studiert er in Nairobi/Kenia Theologie und macht in der Provinz Togo-Benin ein Pastoralpraktikum. „In Tamale und später in Kenia erfuhr ich zum ersten Mal, wie es ist, sich fremd zu fühlen, wegen seiner Herkunft diskriminiert zu werden und was es heißt, sich in eine andere Kultur einzutauchen“, berichtet Pater Kodom.
Gegen Ende seines Studiums wurde Pater Kofi gefragt, ob er Interesse hätte, in Europa zu arbeiten. „1990 haben die Steyler Missionare im Dokument von Roscommon Europa zum Missionsgebiet erklärt. Ein völlig neuer Ansatz. Hinzu kam, dass die Zahl der Migranten in den europäischen Ländern stark gestiegen war. Es war daher der Wunsch der Ordensleitungen, Mitbrüder aus Afrika in der Arbeit mit Geflüchteten und Migranten einzusetzen.“ Diese konkrete Aufgabe reizte Pater Kodom und gab für ihn den Ausschlag, sich für einen Missionseinsatz in Europa zu melden. Auf der alphabetischen Länderliste kreuzte er die ersten drei Staaten an, ganz oben stand „Austria“.

Von seinen Steyler Mitbrüdern (Im Bild mit Bruder Fritz Tremp) wurde Pater Kofi herzlich in St. Gabriel aufgenommen.
Von seinen Steyler Mitbrüdern (Im Bild mit Bruder Fritz Tremp) wurde Pater Kofi herzlich in St. Gabriel aufgenommen.

Was es heißt, in Österreich schwarz zu sein

Pater Kodom bekommt tatsächlich Österreich als Einsatzland zugewiesen, er ist damit der erste Steyler Missionar aus Afrika mit einer Missionsbestimmung für Europa. Im Jahr 2000 wird Kofi Kodom in Ghana zum Priester geweiht. Am 1. März 2001 ist es nach einer langen Wartezeit für das Visum soweit: Pater Kodom betritt österreichischen Boden. Der herzliche Empfang durch die Mitbrüder im Missionshaus St. Gabriel kann den „Kulturschock“ lediglich ein bisschen abfedern. „Ich konnte kein Wort Deutsch, das Essen war ungewohnt für mich und auch das kalte, wechselhafte Wetter.“ Pater Kodom erinnert sich noch gut an den Morgen im April: „Ich öffnete mein Fenster und draußen war alles weiß. Ich stand da, beobachtete die Schneeflocken, die vom Himmel fielen und ehe ich mich versah, war es zu spät, zur Morgenmesse zu gehen.“
Mit Frost und Schnee freundete sich Pater Kodom im Laufe der Jahre an, woran er sich jedoch nie gewöhnte, war der Rassismus, der Menschen mit schwarzer Hautfarbe in Österreich nach wie vor entgegenschlägt. „Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich auf dem Weg von St. Gabriel zum Deutschkurs nach Wien von der Polizei kontrolliert wurde. Am Anfang habe ich mir nichts dabei gedacht, aber dann fiel mir auf, dass immer ich als Einziger herausgeholt wurde.“ Dass er als schwarzer Afrikaner in den Augen der österreichischen Polizei verdächtig war, mit Drogen zu handeln, wurde ihm erst nach und nach klar.
Weil er – bewusst - in Zivil ging, wurde er nicht sofort als Priester wahrgenommen.
Auch als er ein Praktikum der Betriebsseelsorge bei der Voest Alpine in Linz macht, weiß niemand, dass er ein Ordensmann ist. Bereits nach drei Tagen ist er seinen Job wieder los, offiziell wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Eine Nachfrage in der Personalabteilung ergibt, dass seine Schichtgruppe nicht mit einem „Schwarzen“ zusammenarbeiten wollte. Er wechselt die Abteilung, am Hochofen bekommt er zu hören: „Geh du zuerst hin, da ist es so heiß wie in Afrika.“ Erst als der Bischof zu Besuch kommt, wird er als Priester „geoutet“. Auf einmal wird der „Neger“ zum „Hochofen-Pfarrer“.
Auch später macht Kofi Kodom immer wieder die Erfahrung, dass er als Afrikaner in Österreich oft nur wegen seiner Rolle als Priester akzeptiert wird, „aber nicht als Mensch“, wie er rückblickend feststellt.

Initiative für Schubhaftseelsorge

Pater Kodom kann sich gut in die Situation von geflüchteten Menschen einfühlen, als er nach zwei Jahren als Kaplan in Innsbruck nach St. Gabriel zurückkehrt, um seine Tätigkeit in der Flüchtlingsseelsorge zu beginnen. Zuerst begleitet er im Flüchtlingslager Traiskirchen die Neuankömmlinge und hilft ihnen bei der ersten Orientierung. Immer wieder passiert es, dass ihn Asylwerber, die er aus Traiskirchen kennt, plötzlich aus der Schubhaft kontaktieren. Als er diese Menschen besucht, stellt er fest, dass es in der Schubhaft zwar Gottesdienste, aber keine persönliche Seelsorge gibt. Gemeinsam mit dem Verein „Fair und sensibel“, der sich um ein gutes Miteinander von Polizei und Afrikanern bemüht, wendet er sich an die Erzdiözese Wien und es gelingt dem Steyler Missionar, den zuständigen Weihbischof Franz Scharl und den Polizeipräsidenten für das Thema Schubhaftseelsorge zu gewinnen. Am 1. November 2008 beginnt Pater Kodom offiziell mit seiner Arbeit als Schubhaftseelsorger in den Polizeianhaltezentren Hernalser Gürtel und Roßauer Lände in Wien. Seine Sprachkenntnisse – neben Deutsch, Englisch und Französisch spricht er auch die afrikanischen Sprachen Suaheli und Twi – helfen ihm bei den Gesprächen mit den Häftlingen, die auf ihre Abschiebung warten müssen. Er hört zu, spricht Mut zu, stellt Kontakt zu den Familien her und vermittelt Rechtsberatung. Und er betet mit den Häftlingen – bei seinen Besuchen im Gefängnis hat er die Bibel und den Koran dabei.
Für sein Engagement erhält Pater Kofi 2010 die Friedensrose Waldhausen. Die Arbeit kostet viel Kraft, denn der Seelsorger sieht Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, erlebt Hungerstreiks und Selbstmordversuche. Dennoch hält er durch, bis ein Nachfolger für die von ihm aufgebaute Tätigkeit gefunden wird. Dann geht der Steyler Missionar nach Rom, um dort auf eigenen Wunsch Pastoraltheologie mit dem Schwerpunkt Migrantenseelsorge zu studieren. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen seine praktischen Erfahrungen ergänzen.

P. Kofi Kodom SVD initiierte die Schubhaftseelsorge in Wien. Sieben Jahre lange arbeitete er als Seelsorger in den Polizeianhaltezentren Roßauer Lände und Hernalser Gürtel.
P. Kofi Kodom SVD initiierte die Schubhaftseelsorge in Wien. Sieben Jahre lange arbeitete er als Seelsorger in den Polizeianhaltezentren Roßauer Lände und Hernalser Gürtel.
Bei den Besuchen spricht er Mut zu, stellt Kontakte zur Außenwelt her, vermittelt Rechtsberatung und betet mit den Schubhäftlingen.
Bei den Besuchen spricht er Mut zu, stellt Kontakte zur Außenwelt her, vermittelt Rechtsberatung und betet mit den Schubhäftlingen.
2010 wird Pater Kofi Kodom mit der Friedensrose Waldhausen für sein Engagement in der Schubhaftseelsorge ausgezeichnet.
2010 wird Pater Kofi Kodom mit der Friedensrose Waldhausen für sein Engagement in der Schubhaftseelsorge ausgezeichnet.

Flüchtlingsseelsorger in Vorarlberg

2015 kommt Pater Kofi nach Österreich zurück, diesmal in die Niederlassung der Steyler in Dornbirn (Vorarlberg) und übernimmt erneut eine Vorreiterrolle: Von der Diözese Feldkirch wird er zum ersten Flüchtlings- und Migrantenseelsorger in Vorarlberg ernannt. Eine Antwort der Caritas und der Diözese auf die große Fluchtbewegung, die das Land in diesem Jahr erreichte. Pater Kofi besucht die Flüchtlingsunterkünfte, spricht mit den Menschen über ihre Ängste und Belastungen. Vor allem den unbegleiteten jugendIichen Flüchtlingen gehören seine Sorge und Zuwendung. Wieder sind es seine eigene Migrationserfahrung und sein Aussehen als einer, „der nicht von hier ist“, die Vertrauen schaffen. Bei Besuchen in Schulen, Diskussionsveranstaltungen und Vorträgen versucht er, Vorurteile gegenüber geflüchteten Menschen abzubauen.

Pater Kofi mit TeilnehmerInnen an der Romaria-Wallfahrt in Solidarität mit Flüchtlingen
Pater Kofi mit TeilnehmerInnen an der Romaria-Wallfahrt in Solidarität mit Flüchtlingen

Erfahrungen weitergeben

Nach fast 20 Jahren Missionstätigkeit in Europa sieht Pater Kodom nun einen „guten Zeitpunkt“ gekommen, im Anschluss an ein viermonatiges Sabbatprogramm in Kenia in seine Heimat Ghana zurückzukehren. „Jetzt bin ich noch nicht zu alt, um mich wieder zu Hause einzuleben.“ Noch ist nicht endgültig klar, welche Aufgabe er im Orden übernehmen wird. „Wahrscheinlich werde ich in der Ausbildung der jungen Mitbrüder tätig sein.“ Seine Erfahrungen sollen in Zukunft jenen Steylern helfen, die planen, als Missionare nach Europa zu gehen. „2001 war ich der einzige Afrikaner in der Mitteleuropäischen Provinz, zuletzt waren wir schon zehn“, sieht er diese Entwicklung durchaus positiv. Vor allem, wenn die Steyler Missionare Aufgaben übernehmen, die „das Charisma unseres Ordens spürbar machen, an die Grenzen zu gehen.“ Die Arbeit mit Flüchtlingen gehöre hier eindeutig dazu.
Was will er den Jungen mitgeben? „Man muss klar und deutlich sagen, dass die Kirche in Europa anders ist als in Ghana, z.B. was das Priesterbild und die Zusammenarbeit mit Laien betrifft, sonst sind Enttäuschungen vorprogrammiert.“ Ebenso wichtig sei es, auch das Thema Rassismus offen anzusprechen.
Das in Afrika – auch unter Missionaren – weitverbreitete Bild, dass Europa ein „gelobtes Land“ sei, müsse zurechtgerückt werden. „Man muss z.B. klar kommunizieren, dass es auch in Österreich bedürftige Menschen gibt.“ Pater Kodom weiß aus eigener Erfahrung, dass es eine große Erwartungshaltung von Familie und Freunden gegenüber den Missionaren gibt, die in Europa arbeiten. „Es war schwer zu vermitteln, dass ich als Steyler Missionar über kein eigenes Einkommen verfüge.“
So sehr sich Pater Kodom darauf freut, wieder in seinem Heimatland zu arbeiten, so manches an Österreich wird er vermissen: Die herrliche Landschaft, die Berge, Wälder und Seen und das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung hat er zu schätzen gelernt, und – nach einer gewissen Eingewöhnungszeit – auch die österreichische Küche. „Schweinsbraten mit Knödel und Kässpätzle werden mir schon abgehen“, lacht Pater Kofi.

Zur Person

P. Patrick Kofi Kodom kam 1969 in Ghana zur Welt. 1992 trat er in die „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ ein. Das Philosophiestudium und Noviziat absolvierte Pater Kodom in Ghana, später ging er zum Theologiestudium nach Kenia und machte ein Pastoralpraktikum in Togo-Benin.
Als erster afrikanischer Steyler Missionar erhielt Pater Kodom die Missionsbestimmung für Europa. Nach der Priesterweihe im Jahr 2000 kam er im März 2001 in Österreich an. Es folgten ein Sprachstudium in Wien, sowie zwei Jahre als Kaplan in Innsbruck.
2005 begann Pater Kodom seine Arbeit in der Migrantenpastoral, zunächst im Flüchtlingslager Traiskirchen, später als Seelsorger für Schubhäftlinge in Wien. Im Jahr 2010 wurde Pater Kodom mit der Friedensrose Waldhausen für sein Engagement in der Schubhaft-Seelsorge ausgezeichnet.
Von 2013 bis 2015 absolvierte Pater Kofi Kodom ein Masterstudium in Pastoraltheologie und Migrantenseelsorge in Rom. Nach seiner Rückkehr nach Österreich wurde der Steyler Missionar Flüchtlingsseelsorger der Caritas in der Diözese Feldkirch (Vorarlberg). Neun Jahre war Pater Kofi Mitglied des Provinzrates der österreichischen bzw. Mitteleuropäischen Provinz. Ende Dezember 2020 kehrte Pater Kodom auf den afrikanischen Kontinent zurück

Text: Ursula Mauritz; Fotos: Franz Helm SVD, Christian Tauchner SVD

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