Ein Kriegsberichterstatter der anderen Art

AT

01. Jul 2022

Eine Ausstellung in der von den Steyler Missionaren betreuten Kirche St. Johann Evangelist in Wien zeigt Fotoarbeiten des Innsbrucker Bischofs Hermann Glettler.

Fotoarbeit von Bischof Hermann Glettler

16 Fotoarbeiten des Innsbrucker Diözesanbischofs Hermann Glettler sind bis Ende August in der von den Steyler Missionaren betreuten Kirche St. Johann Evangelist am Keplerplatz in Wien-Favoriten zu sehen. Der Bischof machte für seine „Kriegsberichterstattung der anderen Art“ Handy-Aufnahmen von den Spätnachrichten, der ZIB 2 und anderen Sendeformaten – Es sind „rohe, flüchtige Foto-Dokumente seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine, ein Versuch, die nervösen Medienbilder festzuhalten“, wie es in einer Aussendung heißt. Die Ausstellung trägt den Titel „This is my body“, der an die Abendmahlsworte Jesu anknüpft.
„Wir sind sehr stolz, dass Bischof Glettler die Kunstwerke eigens für unsere Kirsche geschaffen hat“, freut sich Pfarrer P. Matthias Felber SVD von der Pfarre Zum Göttlichen Wort. „Mit den Fotos wurden bewusst die 16 Kreuzwegstationen überhängt.“ Die Ausstellung wurde am 10. Juni im Rahmen der Langen Nacht der Kirchen eröffnet und ist täglich zu den Öffnungszeiten der Kirche von 8 bis 19 Uhr frei zugänglich. „Am 28. August wird Bischof Glettler mit uns die Sonntagsmesse feiern. Bei der Finissage am Nachmittag wird es die Möglichkeit zur Begegnung mit dem Künstler geben“, kündigt Pater Felber an.

Mit den Fotoarbeiten von Bischof Hermann Glettler wurden die 16 Kreuzwegstationen in der Kirche St. Johann Evangelist in Wien-Favoriten überhängt.
Mit den Fotoarbeiten von Bischof Hermann Glettler wurden die 16 Kreuzwegstationen in der Kirche St. Johann Evangelist in Wien-Favoriten überhängt.

"Das ist mein Leib"

Die Hintergründe dieser ungewöhnlichen Verarbeitung verstörender Kriegsereignisse schilderte der ausgebildete Kunsthistoriker und selbst künstlerisch tätige Bischof im Vorfeld der Ausstellungseröffnung in persönlichen Worten: „Begreifen funktioniert nicht. Vermutlich Verlegenheit und Hilflosigkeit, um nicht in die Falle der Gewöhnung zu fallen. Oder abzudrehen, wegzuschalten.“ Neben Gefühlen von Entsetzen, Trauer und Wut habe sich in dieses nächtliche Sammeln der Bilder von Verwüstung und Zerstörung laut dem Bischof „auch ein wenig Gebet eingemischt. Klage. Vielleicht nur eine persönliche Übung um die Betroffenheit nicht zu verlieren. Auch das Weinen nicht.“
Angesichts der vielen Körper, die im Krieg „umsorgt und entsorgt“ würden, sei ihm das vertraute Jesus-Wort „Das ist mein Leib!“ in den Sinn gekommen. Christus identifiziere sich mit allen Menschen, besonders mit den Bedrängten und Geschundenen, wies der Bischof hin. Somit stelle sich angesichts des vom Krieg verwundeten, verworfenen Leibes auch die Frage nach dem verklärten Leib: „Der Leib Christi?“
Für P. Matthias Felber hat es Konsequenzen für den Betrachter, wenn er in den geschundenen und vom Krieg gezeichneten Menschen den Leib Christi sieht: „Das kann für jeden anders aussehen: „Beten, ins Grübeln und Nachdenken kommen, weinen, aber auch gegen Gewalt auftreten, politisch Stellung beziehen und aktiv helfen.“ Die Ausstellung könne auch ein Beitrag gegen das Vergessen des Krieges in der Ukraine sein.

"Das ist mein Leib!": Der geschundene, vom Krieg gezeichnete Mensch wird zum Leib Christi
"Das ist mein Leib!": Der geschundene, vom Krieg gezeichnete Mensch wird zum Leib Christi

Zerkratzen als Form der Trauer

Das rohe Bildmaterial hat der seit den 1990er Jahren in Ausstellungen präsente Künstler Hermann Glettler nachträglich bearbeitet, teilweise beschnitten, überblendet, mit einer diskret verschleiernden, opaken Scheibe versehen. Die geometrische Scheibe sei ein „Korrektiv für die unerträgliche Bildinformation“, erklärte Glettler. „Es ist der Versuch, Diskretion walten zu lassen. Kein Voyeurismus mit dem Elend.“ Denn: „Wer zusieht, ist auch nicht unschuldig.“ Eine weitere Besonderheit des Entstehungsprozesses: Die Fotos wurden in Wien unter Einbeziehung von jungen Leuten, darunter auch Flüchtlingen aus der Ukraine, mit Werkzeugen und Nägeln zerkratzt. „Eine persönliche Form der Trauer, eine notwendige Abwehr und Aneignung des Dargestellten zugleich“, erläuterte Glettler

Form der Trauer: Junge Flüchtlinge aus der Ukraine haben die Fotos mit Werkzeugen und Nägeln zerkratzt
Form der Trauer: Junge Flüchtlinge aus der Ukraine haben die Fotos mit Werkzeugen und Nägeln zerkratzt

Kunst als Weg zu Gott

Der 1965 in Übelbach in der Steiermark geborene Hermann Glettler sieht sich nicht nur als Priester und Bischof, sondern auch als Kunstvermittler, der das Vertrauen zwischen Kirche und heutigen Kulturschaffenden wieder aufbauen möchte. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte er damit bereits von 1999 bis 2016 als Pfarrer in Graz St. Andrä, das er zu einem Brennpunkt der Begegnung von zeitgenössischer Kunst und christlichem Glauben machte. Anfang Dezember 2020 entstand auf der Insel Lesbos beim Besuch des dortigen Flüchtlingslagers eine Fotoserie, die Glettler unter dem Titel „Wasted Lives“ ausstellte.

Fotos: Peter Puschner

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