"Gott wird es nicht richten!"

AT

19. Apr 2023

Zivilgesellschaftlicher Protest ist nach Ansicht der Theologin und Klimaaktivistin Anna Kontriner die einzige Hoffnung die Klimakrise zu bewältigen.

"Gott wird es nicht richten!"

„Die Menschen müssen die Sache selbst in die Hand nehmen, der zivilgesellschaftliche Protest ist die einzige Hoffnung!“ Einen leidenschaftlichen Appell, in der Klimakrise kritisch gegenüber Hierarchien und Autoritäten zu sein, richtete die Theologin und Klimaaktivistin Anna Kontriner am 18.4.2023 im Missionshaus St. Gabriel an die Zuhörer:innen. „Gott wird’s nicht richten. Auch nicht der Papst, der Bundeskanzler oder die EU. Wir müssen uns fragen: Wo habe ich Handlungsmacht? Wo ist meine Verantwortung?“, betonte Kontriner, die auf Einladung der Steyler Missionare im Rahmen der Reihe „Transformationen gestalten. Mit Aktivist:innen im Gespräch“ einen Vortrag zum Thema „Ziviler Ungehorsam und christliche Tradition“ hielt. „Derzeit sind die Machtverhältnisse eindeutig. Aber das muss nicht so bleiben, wenn mehr Menschen ihr Gewicht in die Waagschale werfen.“

Rektor P. Franz Helm SVD freute sich, die Theologin und Klimagerechtigkeitsaktivistin Anna Kontriner im GABRIUM begrüßen zu dürfen.
Rektor P. Franz Helm SVD freute sich, die Theologin und Klimagerechtigkeitsaktivistin Anna Kontriner im GABRIUM begrüßen zu dürfen.

Auf welcher Seite stehen wir?

In einer Zeit, die von einer existentiellen Krise geprägt sei, müssten wir uns fragen, in welchem Verhältnis wir dazu stehen wollen, so Kontriner. In der „starken und lauten“ Tradition der Mächtigen, die sich und ihre Narrative durchgesetzt hätten, die die Institutionen und Strukturen prägten und die Hierarchien geschaffen hätten, die Kritik nahezu verunmöglichten. Oder in der Tradition jener Menschen, die auf unterschiedliche Weise für ein würdevolles Leben gekämpft hätten. Kontriner nannte als Beispiele u.a. die Prophet:innen, die schonungslos die Reichen und Mächtigen kritisiert haben. Aber auch Gemeinschaften wie die Beginen oder die lateinamerikanischen Basisgemeinden, die versuchten, solidarisch ein gutes Leben zu führen. In dieser Tradition stünden auch die Geschichten von Häretiker:innen, Kritiker:innen und Marginalisierten.
Die Theologin zeigte anhand von Beispielen aus der Kirchengeschichte, dass verschiedene Traditionen, Dogmen, Texte und Ideen nicht „vom Himmel gefallen sind“, sondern das Ergebnis politischer Entscheidungen, theologischen Konflikten oder Zufällen waren. Dies seien die Traditionen der Mächtigen, jener, die die Deutungshoheit beanspruchten.
Andere – herausfordernde, kritische, marginalisierte oder als häretisch bezeichnete Traditionslinien - hingegen wurden verdrängt oder unterdrückt und gerieten mit der Zeit in Vergessenheit.

Großes Interesse für den Vortrag von Anna Kontriner zum Thema "Ziviler Ungehorsam und christliche Tradition"
Großes Interesse für den Vortrag von Anna Kontriner zum Thema "Ziviler Ungehorsam und christliche Tradition"

Verlust von Lebensraum und Menschlichkeit

Das Klimaproblem ist nach Ansicht der Klimagerechtigkeitsaktivistin kein naturwissenschaftliches oder technisches Problem, sondern ein politisches. Die Lösungen zur Eindämmung der Klimaerwärmung lägen auf dem Tisch. Wissenschafteler:innen und Journalist:innen warnten seit Jahrzehnten, aber es fehle am politischen Willen der Mächtigen zu Veränderungen. Das System internationaler Konferenzen ist gescheitert, erklärte Kontriner. „Politiker:innen wissen seit Jahrzehnten um diese Entwicklung, aber noch immer schauen sie lieber weg, als sich mit Konzernen anzulegen.“ Sie würde sich gesellschaftliche und politische Maßnahmen, z.B. zur CO2-Reduktion wünschen, „aber ich habe aufgehört mich darauf zu verlassen.“
Sehr eindrücklich wies Kontriner darauf hin, dass bei einer Überschreitung des kritischen Punkts einer Erhitzung über 1, 5 Grad wahrscheinlich „das gesamte Weltklimasystem kippt und weite Teile der Erde unbewohnbar werden“. Hinzu kommen die Folgen intensiver Landwirtschaft, Bodenversiegelung, Zerstörung von Lebensraum. Die Natur werde sich erholen, wie es schon mehrmals im Laufe der Erdgeschichte passiert sei. Katastrophal wäre die Entwicklung jedoch für den Menschen, der sich nicht so schnell anpassen könne.
Besorgt zeigte sich Kontriner über einen rapiden Verlust, nicht nur von Lebensraum, sondern auch von Menschlichkeit: „Wenn es normal ist, Menschen an Europas Außengrenzen mit Absicht und Planung ertrinken zu lassen und in Lager zu sperren – was ist das für eine Zeit, in der wir leben?“
Anna Kontriner betonte in ihrem Vortrag, dass der Einsatz für den Klimaschutz eine gemeinschaftliche Aufgabe ist und auch ältere Menschen viel beitragen können. Umfragen würden zeigen, dass 60 Prozent der Bevölkerung in der Klimakrise ein großes Problem sehen und es ein großes Misstrauen gegenüber den politisch Verantwortlichen gibt. Aber nur wenige Menschen würden konkrete Schritte des Protests setzen: „Organisieren wir uns, um eine menschenwürdige Welt zu gestalten“, forderte Kontriner die Besucher:innen auf.

Nach dem Vortrag beantwortete Anna Kontriner die zahlreichen Fragen der Besucher:innen.
Nach dem Vortrag beantwortete Anna Kontriner die zahlreichen Fragen der Besucher:innen.

Ausblick auf Vortragsreihe 2023/24

Der Rektor des Missionshauses, P. Franz Helm SVD, dankte Anna Kontriner für den aufrüttelnden Vortrag und das Einstehen für ihre Werte sowie den zahlreichen Gästen für die engagierte Diskussion. Am letzten Abend der St. Gabrieler Vortragsreihe 2022/23 gab Pater Helm bereits einen Ausblick auf die Vorträge im nächsten Arbeitsjahr. Als Referent:innen konnten der Friedensforscher Thomas Roithner, die Pastoraltheologin Regina Polak, der Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts in St. Augustin, P. Christian Tauchner SVD, die Verkehrsexpertin Barbara Laa von der TU Wien und Bischofsvikar Josef Grünwidl gewonnen werden.

Fotos: Franz Helm SVD, Franz PIlz SVD

Zur Person
Anna Kontriner studierte Philosophie und Katholische Theologie. Sie lebt in Wien und arbeitet als freie Lektorin. Als Klimagerechtigkeitsaktivistin ist sie in verschiedenen Gruppen aktiv, unter anderem als Sprecherin von LobauBleibt.

Datenschutzhinweis

Diese Webseite nutzt externe Komponenten, wie z.B. Facebook und Youtube welche dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Datenschutzinformationen