AT
24. Jun 2024
In seinem Vortrag im Rahmen der Gusinde-Ausstellung „Völkersterben?! – Nein, wir leben!!!“ gab Br. Emanuel Huemer SVD einen Einblick in die indigene Glaubens- und Lebensweise der Maya-Völker in Chiapas (Mexiko).
„Als P. Martin Gusindes vor 100 Jahren zu seinen Feuerland-Expeditionen aufbrach, standen die indigenen Gemeinschaften dort vor dem Abgrund und kurz vor der Auslöschung. Aktuell ist der Lebensraum der indigenen Bevölkerung in Chiapas von Großprojekten wie der Errichtung eines Wärmekraftwerkes oder von Zugstrecken bedroht“, betonte Br. Emanuel Huemer SVD am 18.6.2024 bei einem Vortrag im Missionshaus St. Gabriel, in dem der Steyler Missionar über seine Eindrücke während seines missionarischen Einsatzes in Chiapas berichtete.
„Bei der Vorbereitung der Ausstellung im Gedenken an die Feuerland-Expeditionen von P. Martin Gusinde vor 100 Jahren habe ich meine Erlebnisse während meines missionarischen Einsatzes in Chipas durch die Brille Martin Gusindes reflektiert“, sagte Huemer. Gusinde hatte in Schriften und Vorträgen das kapitalistische Wirtschaftssystem für die Ausrottung indigener Völker verantwortlich gemacht. „Der ‚Aufruf zur Karawane für das Leben‘ in Chiapas erinnert mich stark an seine Worte“, so Huemer.
Br. Emanuel Huemer machte 2020 einen OTP (= Overseas Training Program)-Einsatz in Mexiko. Eineinhalb Jahre war er dort Mitglied einer kleinen interkulturellen Gemeinschaft der SVD in Salto de Agua in Chiapas. Von Salto de Agua aus betreuen sechs Steyler Missionare in der Diözese San Cristobal de las Casas 90 indigenen Gemeinschaften vom Volk der Ch’ ol, einer Maya-Ethnie.
„Der Mais hat bei den indigenen Gemeinschaften in Chiapas eine hohe Bedeutung. Er ist wichtiger als bei uns der Weizen“, erklärte Emanuel Huemer. Nicht umsonst sagen die Indigenen von sich „Somos de maíz“ (deutsch: Wir sind Mais). Ein berühmter Schöpfungsmythos berichtet, dass die Götter – nach missglückten Versuchen mit anderen Materialien – schließlich Maismehl und Wasser vermischten und daraus den Menschen formten. Es entstanden Menschen, die der Erde, die sie ernährt, mit Achtung und Dankbarkeit begegnen.
Die Tortillas genannten Maisfladen sind das Grundnahrungsmittel der Bevölkerung. „Alle Arbeitsschritte von der Ernte des Mais bis zum Backen der Tortilla werden händisch gemeinsam in der Familie gemacht“, so Emanuel Huemer.
Diese Lebensweise nahe an der Schöpfung und in Verbindung zur Mutter Erde habe ihn besonders beeindruckt, betonte der Steyler Missionar. Mit bestimmten Ritualen bitten die Indigenen die Mutter Erde um Verzeihung, wenn ihr, z.B. beim Bau eines Hauses, Verletzungen zugefügt werden.
In seinem Vortrag beschäftigte sich Emanuel Huemer auch mit der indigenen Theologie und Glaubensweise der Maya-Völker. „Die indigene Theologie ist ein Teil der Befreiungstheologie. Die Zeit nach der Eroberung durch die Europäer war eine 500 Jahre lange Nacht. Die Indigenen wurden in dem Land, in dem sie seit Jahrhunderten lebten, marginalisiert. Die indigene Theologie versucht den Widerstand gegen die Konquistatoren aufzugreifen. Sie entstand, weil die Zapatisten das Thema der Indigenen in die Öffentlichkeit brachten.“
Als besonderen Ausdruck der Religiosität und Frömmigkeit der indigenen Gemeinschaften in Chiapas stellte Emanuel Huemer den „Altar Maya“ vor. „Die in Mandalaform gelegten Bilder mit Naturmaterialien wie Blüten, Blättern und Früchten sowie Kerzen erinnern uns in Europa vielleicht an das Erntedankfest. Der Altar Maya ist aber wesentlich mehr, er ist ein Glaubensbekenntnis und Ausdruck des römisch-katholischen Glaubenslebens in der Diözese San Cristobal“, erläuterte Emanuel Huemer. Der Altar Maya kann am Beginn einer Wort-Gottes-Feier oder einer heiligen Messe stehen, aber er kann auch ein eigenständiges spirituelles Element sein, etwa bei Pastoraltreffen oder Versammlungen in den Kirchengemeinden. Jede und jeder Teilnehmer:in an der Feier bringt etwas für den Altar Maya mit, dann werden die Gegenstände arrangiert und beweihräuchert und schließlich Gebete in alle vier Himmelsrichtungen gesprochen. „Der Altar Maya ist ein Ort der Verehrung Gottes.
Gott ist gegenwärtig wie in einem Sakrament und hört die Gebete. Wenn ich bei der Initiierung eines Altar Maya dabei war, erfüllte mich jedes Mal ein großes Gefühl der Ergriffenheit. Dieses Gefühl von Heimat, Gemeinschaft und Verantwortung mit und für Mutter Erde ist für mich in unseren Gemeinden in Europa schwer vorstellbar“, unterstrich der Steyler Missionar.
Br. Emanuel Huemer SVD, 39, legte im Vorjahr seinen Ewigen Gelübde in der „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ ab. Er engagiert sich besonders für Fragen von Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und arbeitet in der Mitteleuropäischen Provinz im gleichnamigen Team der Steyler Missionare mit.
Fotos: Emanuel Huemer SVD, Ursula Mauritz