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24. Mai 2024
Die Bedeutung einer Maske aus dem Besitz Martin Gusindes für die Nachfahren des Feuerland-Volkes der Selk’nam stand im Mittelpunkt des Vortrags von Claudia Augustat vom Weltmuseum Wien.
Auf welchem Weg gelangte eine Maske, wie sie beim Volk der Selk’nam in Feuerland bei heiligen und geheimen Zeremonien verwendet wurde, ins Zentrum der Bundeshauptstadt Wien? Welche Bedeutung hat sie heute für die Nachfahren dieses indigenen Volkes in Chile? Und: Ist ein 3D-Druck eines ethnografischen Objekts lediglich ein „Fake“ oder kann seine Rückführung und Übergabe an eine indigene Gemeinschaft ein Symbol für den Respekt und die Empathie gegenüber den Vetreter:innen dieser Communities sein? Diesen Fragen ging die Leiterin der Südamerika-Sammlung des Weltmuseum Wien, Claudia Augustat, in ihrem Vortrag am 21. Mai 2024 nach.
Claudia Augustat nahm die Zuhörer:innen im Missionshaus St. Gabriel mit auf eine spannende Reise durch die Landschaften an der Südspitze Feuerlands und in die Vergangenheit: Im Mai 1923 feierte eine Gruppe von Selk’nam den Hain, eine Initiationszeremonie für junge Männer. Die Initiative zu der Zeremonie, die schon länger nicht mehr begangen worden war, ging auf den Steyler Missionar und Ethnologen P. Martin Gusinde zurück, der als erster Weißer an diesem geheimen Ritual teilnehmen wollte. Von 1918 bis 1924 unternahm Gusinde vier Reisen an die Südspitze Amerikas und erforschte die Völker der Selk’nam, Yagan und Kawésqar. Eine Ausstellung im Missionshaus St. Gabriel erinnert derzeit an die Feuerland-Expeditionen vor 100 Jahren.
Wie Claudia Augustat erklärte, schenkte Gusinde den Indigenen zwei Lederstücke vom Hals eines Guanakos, einem Lama ähnlichen Tier, die in der Zeremonienhütte, zu der nur Männer Zutritt hatten, in Masken verwandelt wurden. Diese repräsentierten die Geister der Hain. „Nach der Zeremonie bat Gusinde um die Masken für seine ethnografische Sammlung. Die Selk’nam lehnten diesen Wunsch ab.“ Ein Vertrauter Gusindes fertigte jedoch zwei Kopien für ihn an, die der Ethnologe heimlich nach Europa brachte. Eine der beiden Masken ging an das Vatikanische Museum in Rom, die andere an das Völkerkundemuseum in Wien, heute Weltmuseum Wien. „Seit 2017 wurde sie in der Dauerausstellung gezeigt“, so die Museums-Kuratorin.
Doch damit endet die Geschichte der Maske nicht! 2022 war die Selk’nam-Aktivistin Fernanda Olivares zusammen mit einem chilenischen Künstler für einen Forschungsaufenthalt zu Gast in Wien. Mit einem 3D-Druck der Maske schufen sie eine Installation für die Ausstellung „Ausgestorben!?“ im Weltmuseum. Auch ein Besuch in St. Gabriel und beim Grab Pater Gusindes am dortigen Friedhof stand am Programm. „Nach ihrer Rückkehr nach Chile übermittelte mir Fernanda Olivares den Wunsch der Selk’nam-Gemeinschaft, die von Gusinde mitgebrachte Maske aus der Dauerausstellung zu entfernen. Als Symbol der Spiritualität der Selk’nam sollte sie nicht in der Öffentlichkeit gezeigt werden. Außerdem bat mich Fernanda, einen weiteren 3D-Druck der Maske herzustellen und nach Feuerland zu bringen“, erzählte Claudia Augustat. Beiden Wünschen wurde entsprochen. Die Original-Maske wanderte ins Depot und im Februar 2023 flog die Kulturanthropologin nach Chile und übergab die 3D-Maske im Naturpark Karukina an die Selk’nam. Zunächst dachte Augustat, dass die digitale Rückführung eines ethnografischen Objekts nur ein „Fake“ sei. „Mittlerweile denke ich, dass es eine Option ist, wenn eine Gemeinschaft darum bittet.“ Für Fernanda Olivares sei die Rückführung der 3D-Maske „ein Symbol für den Respekt und die Empathie, die das Museum dem Objekt und der Gemeinschaft der Selk’nam entgegenbringt“. Die Selk’nam galten In Chile bis zum August 2023 offiziell als ausgestorben. Sie mussten darum kämpfen, als lebende Kultur anerkannt zu werden. „Zu einer lebendigen Kultur gehört auch, sich wieder mit der Vergangenheit zu verbinden. Die Maske, die Martin Gusinde mitbrachte und die als 3D-Druck überbracht wurde, ist hierfür ein Symbol“, so Augustat.
Bei ihrem Vortrag beglückwünschte die Leiterin der Südamerika-Sammlung am Weltmuseum die Steyler Missionare zu der gelungenen Gusinde-Ausstellung im Missionshaus St. Gabriel. „Das Sichtbarmachen der indigenen Stimmen ist sehr positiv und für ein Missionsmuseum nicht selbstverständlich“, betonte Augustat. In der Ausstellung gehe es nicht um eine „Glorifizierung“ Martin Gusindes, so werde beispielsweise sein Verhalten in der NS-Zeit kritisch betrachtet. Als besonders positiv wertete Claudia Augustat auch die rasche Reaktion der Ausstellungsmacher auf Kritik indigener Aktivistinnen und Forscherinnen an dem ursprünglichen Titel „Völkersterben?!“, der das tatsächliche Überleben der Kulturen außer Acht gelassen hatte. „Der Titel der Ausstellung wurde durch die Aussage ‚Wir leben!!!‘“ ergänzt. Das ist Dialog, das ist es, was es braucht.“
Hinweis
Die Ausstellung „Völkersterben?! – „Nein, wir leben noch!!!“ ist noch bis 15. November 2024 zu sehen.
Eingang: Pforte des Missionshauses St. Gabriel, Gabrielerstraße 171, 2344 Maria Enzersdorf
Öffnungszeiten: Mo – Fr von 8 bis 14 Uhr, Sa von 8 bis 12 Uhr, So und Fei von 10 bis 11.30 Uhr. Führungen für Gruppen nach Vereinbarung möglich.
Kontakt: T 02236/803, E kommunikation@steyler.eu
Fotos: Ursula Mauritz, Franz Helm SVD