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17. Apr 2024
Bischofsvikar Josef Grünwidl präsentierte bei einem Vortrag in St. Gabriel Impulse, wie Gemeinden auch in herausfordernden Zeiten lebendig bleiben können.
Ein realistisches Bild der derzeitigen Situation der Kirche in der Erzdiözese Wien mit sinkenden Katholikenzahlen und Gottesdienstbesuchern zeichnete Bischofsvikar Josef Grünwidl in seinem Vortrag am 16.4.2024 im Rahmen der St. Gabrieler Vortragsreihe der Steyler Missionare. „In diesen stürmischen Zeiten gibt es zwei Möglichkeiten: Wir können resignieren und uns zurückziehen oder wir können in den Veränderungen eine Chance sehen und aufbrechen, denn Aufbruch und Transformation gehören zur DNA gläubiger Menschen“, erklärte Grünwidl, der seit Jänner 2023 das Vikariat Süd der Erzdiözese leitet.
Der Bischofsvikar präsentierte den zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörern einen Überblick über aktuelle Veränderungen in Kirche und Gesellschaft. „Nicht die Kirche an sich, sondern die für uns vertraute Kirchengestalt in Form der Volkskirche kommt an ihr Ende“, sagte Grünwidl. „Wir leben nicht mehr in einer Monokultur, sondern in einem bunten Mischwald“, zog er ein Beispiel aus der Forstwirtschaft heran. In Österreich gebe es elf gesetzlich anerkannte Bekenntnisgemeinschaften und 16 anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften. „Die Buntheit des Angebots sehe ich als Bereicherung und Fortschritt.“ Christ zu sein sei heute kein Schicksal, meinte der Bischofsvikar, sondern eine bewusste Entscheidung. „Der Glaube an einen christlichen Gott ist keine Selbstverständlichkeit mehr“, so Grünwidl.
Mit einigen Zahlen belegte der Bischofsvikar die dramatischen Veränderungen in der katholischen Kirche: 2022 gab es rund 90.000 Kirchenaustritte, die Zahl der Katholiken in Österreich ist auf 52 Prozent gesunken. Lediglich 7,5 Prozent der Katholiken, das sind 2,8 Prozent der Gesamtbevölkerung besuchen in der Erzdiözese Wien den Sonntagsgottesdienst. Die Konsequenzen dieser Entwicklung: Immer weniger Religionslehrer und Personal in den Pfarren, die Last die zahlreichen – oft ungenutzten - kirchlichen Gebäude zu erhalten und ein Minus im Diözesanbudget, das harte Sparmaßnahmen und die Trennung von Einrichtungen erfordere. So wird die Dombuchhandlung am Stephansplatz Ende April schließen, das Weiterbestehen von Radio Klassik Stephansdom ist nur gesichert, wenn sich dieses wirtschaftlich selbst trägt.
Die Erzdiözese habe in den vergangenen Jahren verschiedene Initiativen gestartet, um die Pfarrgemeinden zu unterstützen und die Kirche in eine gute Zukunft zu führen. Unter anderem wurde ein Strukturprozess in Gang gesetzt, in dem Seelsorgeräume, Pfarrverbände und Pfarren mit Teilgemeinden (früher: Pfarre neu) entstanden sind. Diese Formen der Zusammenarbeit sollen u.a. Vorteile in der Verwaltung bringen.
Ganz neu ist das Modell der „Kundschafter“: Dabei sehen sich 80 (vor allem junge) Menschen bei Firmen um und erkunden, wie diese einen Aufbruch und Neubeginn geschafft haben.
Anschließend ging Bischofsvikar Grünwidl der Frage nach, wie Kirche vor Ort angesichts dieser Krise lebensfähig und lebendig bleiben. Er gab dafür „Zwölf Impulse für lebendige Gemeinden“. Neben spiritueller Erneuerung, Beratung und Begleitung bräuchten die Gemeinden eine Vision und ein Pastoralkonzept. Auch der „Mut zum Aufhören“ und die Konzentration auf das Wesentliche seien wichtig.
Unter dem Motto „Gemeinsam statt einsam“ sollten in den Gemeinden Beziehungen gepflegt werden. „Lebendige Gemeinden haben ein brennendes Interesse am Leben der Menschen“, unterstrich Grünwidl. „Wir müssen uns fragen, was bewegt die Menschen? Wir müssen auf die Menschen zugehen und eine Wellcome -Kultur schaffen, die neuen Kirchenbesuchern den Einstieg leicht macht.“ Der Bischofsvikar kritisierte, dass „Neue“ in den Pfarren oft „abblitzten“, wenn sie sich engagieren wollen.
Die Transformationen zu gestalten sei eine Krise und Herausforderung, oftmals auch eine Überforderung. „Wenn wir uns von dieser altvertrauten Kirchengestalt verabschieden müssen, benötigen wir Abschieds- und Trauerprozesse, vor allem, wenn sich Strukturen verändern und z.B. Kirchen an andere Glaubensgemeinschaften übergeben werden“, betonte der Bischofsvikar. „Es braucht Aufbruch und Mut zu Neuem.“
Beim letzten Abend der St. Gabrieler Vortragsreihe 2023/24 gab es einen Besucherrekord. Rektor P. Franz Pilz SVD konnte rund 150 interessierte Gäste im Festsaal des GABRIUM begrüßen und gleich zur nächsten Veranstaltung einladen. Im Rahmen der Ausstellung „Völkersterben?! – Nein, wir leben!!!“ anlässlich der Feuerland-Expeditionen von P. Martin Gusinde vor 100 Jahren ist die Leiterin der Südamerika-Sammlung des Weltmuseums Wien, Claudia Augustat, am 21.5.2024 zu Gast im Missionshaus St. Gabriel (19.30 Uhr, Krypta des Missionshauses, Gabrielerstraße 171, 2344 Maria Enzersdorf).
Zur Person
Josef Grünwidl stammt aus dem Weinviertel und wurde 1988 zum Priester geweiht. Nach Stationen als Diözesanjugendseelsorger und Sekretär von Erzbischof Christoph Schönborn war er von 1998 - 2014 Pfarrer in Kirchberg, Feistritz, St. Corona und Trattenbach. Von 2014 bis 2022 leitete er als Pfarrmoderator die Pfarre Perchtoldsdorf. Im Jänner 2023 wurde Grünwidl zum Bischofsvikar für das Vikariat Süd der Erzdiözese Wien bestellt.
Fotos: Franz Pilz SVD, Ursula Mauritz