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08. Apr 2024
Die Ausstellung im Gedenken an die Feuerland-Expeditionen von P. Martin Gusinde wurde im Missionshaus St. Gabriel feierlich eröffnet.
Vor genau 100 Jahren beendete Pater Martin Gusinde SVD seine vierte und letzte Expedition zu den Völkern an der Südspitze Südamerikas, deren Bedrohung er vehement anprangerte. Die Ausstellung „Völkersterben?! – Nein, wir leben!!!“ erinnert an dieses Jubiläum und spannt einen Bogen vom Leben und den Forschungsarbeiten des Steyler Missionars und Ethnologen bis zur Situation der indigenen Communities in Tierra del Fuego heute.
Am Sonntag, 7.4.2024, wurde die Ausstellung im Missionshaus St. Gabriel in Anwesenheit zahlreicher interessierter Besucherinnen und Besucher feierlich eröffnet. Rektor P. Franz Pilz SVD begrüßte die Gäste, zu denen auch Stadtrat Stephan Schimanowa, als Vertreter der Stadt Mödling, Claudia Augustat, Kuratorin der Südamerika-Sammlungen des Weltmuseum Wien und Peter Rohrbacher vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zählten. Rektor Pilz sprach seinen Dank an alle Personen aus, die am Entstehen und Gelingen der Ausstellung beteiligt waren, sowie an alle Sponsoren. Einen besonderen Dank richtete er an P. Franz Helm SVD, von dem die Initiative zu der Ausstellung ausging und der maßgeblich an der Gestaltung beteiligt war.
„Während der Vorbereitung der Ausstellung ist es gelungen, Kontakte zu Vertreter:innen und Aktivist:innen der indigenen Communities zu knüpfen“, betonte P. Franz Helm SVD in seiner Eröffnungsansprache. „Sie sind direkte Nachfahren der Selk’nam, Yagan und Kawésqar und beherrschen zum Teil immer noch die alten Handwerkstechniken ihrer Vorfahren. Uns war es besonders wichtig, ihre Stimmen mit Fotos und Texten mit in die Ausstellung zu nehmen und ihrem Zeugnis ‚Wir sind nicht ausgestorben, wir leben!' Platz zu geben.“ So ist in der Ausstellung z.B. ein Korb zu sehen, den die Selk’nam Margarita Maldonado aus Argentinien mit der traditionellen Technik ihrer Vorfahren geflochten hat. Er sieht einem Korb aus der Sammlung Martin Gusindes, der in St. Gabriel aufbewahrt wird, verblüffend ähnlich.
Mit fast 300 Objekten aus seinem privaten Nachlass besitzt das Missionshaus St. Gabriel die größte Sammlung von Gusindes Feuerland-Artefakten. Das große Interesse von Wissenschaftler:innen aus Südamerika und Österreich an dieser Sammlung, am Leben und an der Arbeit Martin Gusindes bewog die Steyler Missionare, eine Ausstellung zu planen, erklärte Franz Helm.
Pater Helm hob besonders die Zusammenarbeit mit den argentinischen Forscherinnen Ana Butto und Danae Fiore hervor, die nach St. Gabriel kamen und alle Objekte der Gusinde-Privatsammlung in St Gabriel digitalisierten, analysierten und repräsentative Stücke auswählten, die nun in der Ausstellung zu sehen sind. Die beiden Frauen stellten auch den Kontakt mit indigenen Gemeinschaften in Patagonien und Tierra del Fuego her. „Eine der Wissenschaftlerinnen brach beim Anblick des Grabes von Pater Gusinde am Friedhof von St. Gabriel in Tränen aus, das hat mich sehr berührt“, berichtete Pater Helm. Auch die Begegnung mit Fernanda Olivares aus Chile, einer Aktivistin, die sich für die Anerkennung von Selk'nam-Nachfahren als Mitglieder dieses indigenen Volkes einsetzt, sei ein besonderes Erlebnis gewesen, so Pater Helm, der zusammen mit seinen Mitbrüdern Br. Emanuel Huemer SVD und P. Georg Ziselsberger SVD sowie Cornelia Faustmann, Projektereferentin der Missionsprokur St. Gabriel International, die Ausstellung inhaltlich gestaltet hat.
Pater Helm dankte in seiner Ansprache allen Mitarbeitenden, die das Ausstellungskonzept umgesetzt haben, allen voran Martina Berger von „Nägel mit Köpfen".
Auf zwei „Schätze“ aus dem Nachlass Martin Gusindes gingen Cornelia Faustmann und Emanuel Huemer bei der Eröffnungsfeier näher ein. Faustmann gab einen Einblick in die Tagebuchbände Martin Gusindes aus den Jahren 1923/24, die von der Philologin derzeit transkribiert werden. In seinen Tagebüchern hielt Gusinde persönliche Befindlichkeiten ebenso fest wie Religiöses, Wetteraufzeichnungen, aber auch Angaben zu seiner Forschungsarbeit und zu einzelnen Vertretern der indigenen Bevölkerung, mit denen er Kontakt hatte. Die Tagebucheintragungen seien so vielschichtig wie die Persönlichkeit Pater Gusindes, so Cornelia Faustmann. Zwei Original-Tagebuchseiten samt Transkription sind in der Ausstellung zu sehen.
Einen besonderen Fund machte Br. Emanuel Huemer SVD in der Bibliothek des Missionshauses St. Gabriel. In einem Regal fand er ein kleines, unscheinbares Heftchen, „das es in sich hat“, wie Huemer betonte. Es enthält einen Vortrag mit dem Titel „Das Völkersterben in Ozeanien und Amerika“, den Gusinde 1929 in St. Gabriel hielt. „Der Vortrag ist eine wahre Entdeckung, weil Martin Gusinde darin engagiert für die sterbenden indigenen Völker Partei ergreift und analytisch klar in der Erforschung der Ursachen, kompromisslos die Europäer als Verursacher ausmacht", so Huemer. „Woher nimmt der Europäer das vermeintliche Recht, die ganze Welt nur sich selber nutzbar zu machen? Die Gewinnsucht des Europäers geht über Leichen“: Dieses und weitere Zitate aus dem Vortrag werden in der Ausstellung zusammen mit Porträtfotos projiziert, die Gusinde von den Indigenen machte. Der Vortrag ist nach Ansicht Emanuel Huemers „prophetisch“, weil Gusinde „gewissenloses kapitalistisches Wirtschaften“ als Ursache für das Sterben Vieler sieht, lange bevor diese Sichtweise ihren Weg in die kirchlichen Lehrschreiben gefunden hat.
Stephan Schimanowa, Stadtrat für Kultur und Jugend , dankte den Steyler Missionaren in seinen Grußworten für die Idee zu der Ausstellung. Es sei besonders in diesen Tagen, wo „Leitkultur statt Multikulti“ von manchen Parteien propagiert werde, wichtig, Initiativen zu unterstützen, die Begegnungen mit anderen Kulturen ermöglichen. Es sei ihm daher ein Anliegen, die Inhalte der Ausstellung vor allem Jugendlichen nahe zu bringen und dazu Workshops für Schulklassen anzubieten.
Für die musikalische Gestaltung der Eröffnungsfeier sorgte Jorge Ramos von der
Montessori Erlebnisschule in St. Gabriel. Seine Musik und sein Gesang ließen die Besucher in die Kultur der Aymara in Bolivien eintauchen. Im Anschluss an den Festakt hatten die Besucherinnen und die Besucher die Möglichkeit an Führungen durch die Ausstellung teilzunehmen.
Die Ausstellung „Völkersterben?! – „Nein, wir leben noch!!!“ ist bis 15. November 2024 zu sehen.
Eingang: Pforte des Missionshauses St. Gabriel, Gabrielerstraße 171, 2344 Maria Enzersdorf
Öffnungszeiten: Mo – Fr von 8 bis 14 Uhr, Sa von 8 bis 12 Uhr, So und Fei von 10 bis 11.30 Uhr. Führungen für Gruppen nach Vereinbarung möglich.
Kontakt: T 02236/803, E kommunikation@steyler.eu
Fotos: Mauritz, Yagan Paiakoala Community/Gustavo Groh