Die Eisenkapelle auf dem Indianerplatz

06. Nov 2021

zu Markus 11,17

An einem eher kühlen Tag im August begebe ich mich mit Begleitung auf Entdeckung. Eine aus verrosteten Eisenteilen zusammengeschweißte Kapelle hat unser Interesse geweckt.

Die Eisenkapelle auf dem Indianerplatz
Der direkte Draht zum Himmel! (C) Foto: privat
Der direkte Draht zum Himmel!
(C) Foto: privat

An diesem Sommertag hatten wir uns zu einem Ausflug verabredet. Wir wollten eine Kapelle im Nordwesten von München besuchen. Keine gewöhnliche Kapelle, sondern eine ganz besondere. Sie hat keine Mauern aus Stein, keine Türen aus Holz und keinen Altar in der Mitte. Der Künstler Sebastian Weiss hat sie in sieben Jahren zusammengefügt aus Fundstücken, aus allen möglichen alten Eisenteilen. Schon sein Vater hatte einen Blick für solche Fundstücke, denen er in der Natur, im Schuppen oder auf dem Dachboden begegnete. Der Sohn hatte diese Sammelleidenschaft geerbt und fing bereits als kleiner Junge an, Eisenteile interessant zu finden und aufzuheben. So war mit den Jahren ein ansehnliches Arsenal zusammen gekommen.

Weiss hatte in der Gegend immer wieder Bruchstücke mit christlichen Symbolen auf dem Feld gefunden und entdeckte bei seiner Recherche in den Archiven, dass sie wohl einmal Dankesgaben waren, die Menschen für erfahrene Heilung zu der Wallfahrtskapelle Heilig Kreuz gebracht hatten. Diese Kapelle wurde 1677 von Maximilian II. Emanuel errichtet. Der zuständige Pfarrer ließ sie allerdings 120 Jahre später trotz großen Protestes wieder niederreißen. So wurde die Idee geboren, aus dem Haufen Eisenteile eine Kapelle zusammen zu schweißen, nach dem Modell des alten Wallfahrtskirchleins. Er fragte noch den ein oder anderen Bauern ringsum nach nicht mehr benötigten Teilen und hatte bald genügend Vorrat, um sein Projekt zu verwirklichen.

Schließlich wurde auch der Platz gefunden, wo sie zu stehen kommen sollte: auf dem Indianer- und Tipiplatz in der Nähe des Badesees Lußsee. Der Künstler fügte einen Traktorsitz mit Schraubschlüsseln an ein Kinderfahrrad, schweißte Harke, Axt, Schrauben, Schlüssel hinzu, weiter Spaten, Mistgabel, Zange, Schere und was sonst noch so aus Eisen ist. Allmählich nahm auf diese Weise unter seinen Händen ein 8 auf 3 Meter großer Raum Gestalt an. Wie das Original, das damals einen halben Kilometer entfernt von dort stand, sollte auch die Eisenkapelle einen Zwiebelturm bekommen. Eine Herausforderung, aber mit viel Mühe und Fleiß fügte Weiss Hufeisen mit Teilen eines Bettgestells zusammen, dazu Nägel, Zahnräder, Feilen und Schaber, und immer klarer trat die Zwiebelform vor Augen, die am spitzen Ende mit einer glänzenden Kugel gekrönt wurde.

Mit dieser interessanten Beschreibung im Kopf begaben wir uns also auf Entdeckungsreise. So kamen wir mit U- und S-Bahn zu der Station, wo ich in meiner Handy-App gelesen hatte, dass der Badebus abfahren sollte. Wir warteten dem Bus entgegen, doch der Bus mit der genannten Nummer erschien nicht, auch Minuten später nicht. Ich schaute noch einmal auf die App und las die Bemerkung: „Fährt nur bei Badewetter“. Na, das ist ja toll, dachte ich. Der Himmel war zwar bewölkt und es war nicht gerade heiß, aber immerhin blickte die Sonne mal durch und es regnete nicht. Aber die App, oder wer auch immer dahinterstecken mochte, hatte wohl entschieden, dass man heute nicht baden fährt. So sprach ich gleich den Fahrer des einzigen Taxis weit und breit an, dass er uns doch zum Badesee führe. Der bekam aber gleich einen Anruf mit wohl einem lukrativeren Auftrag und fuhr achselzuckend davon.

Tja, nun standen wir da, ohne Bus und ohne Taxi, „weil man heute nicht baden fährt“. Es blieb uns nichts anderes übrig, als den gut anderthalbstündigen Fußweg auf uns zu nehmen. Endlich waren wir am See angekommen und suchten einen Imbiss, um etwas zu uns zu nehmen. Aber da kein Badewetter war, hatten auch die Büdchen geschlossen. Aha, immerhin war da eine Schrebergartenanlage. Aber als wir hinkamen, waren auch dort alle Türen und Fenster verrammelt. Man schickte uns zur Minigolfanlage gegenüber: „Die haben bestimmt auf“. Die Ernüchterung war groß, als auch dort alles ausgestorben war. Nach der Öffnungszeit auf der Tafel hätten wir noch eine Stunde warten müssen. So zogen wir hungrig und enttäuscht davon und suchten die Kapelle. Dazu mussten wir aber erst um den ganzen See herum. Und was sahen wir da: eine ältere Frau, die im See badete. Dann noch ein Paar, das sich anschickte, mit Anzug auf Bretter zu steigen und sich vom Wind treiben zu lassen.

Eine Kapelle, offen für alle. (C) Foto: privat
Eine Kapelle, offen für alle.
(C) Foto: privat

Die Runde um den See komplettierte unsere halbe Stunde zu einer ganzen. Aber noch immer war keine Kapelle zu sehen und auch kein Hinweisschild dorthin. Irgendwo hier musste sie aber doch sein. Wir bogen links ab und hörten bald ein Klappern. Wo kam das denn her? Wir gingen über eine kleine Brücke, die über den Bach führte, und entdeckten es: im Bach war ein kleines Wasserrad aufgestellt worden, dessen bewegliche Schaufeln beim Drehen klapp-klapp machten. Es war ganz aus Eisen zusammengeschweißt. Aha, dachte ich mir, das ist doch wie ein akustischer Wegweiser. So gingen wir weiter und entdeckten rechter Hand den Tipi-Platz. Beim Betreten des Geländes - so war auf einem Täfelchen zu lesen -, sollte man zur Begrüßung einen Stein auf den Haufen legen. Halb amüsiert, halb andächtig hob ich zwei kleinere Steine auf, legte sie ab und wir traten ein.

Es eröffnete sich uns ein spannendes Terrain mit urigen zusammengezimmerten Hüttchen, die mit Gras bewachsen waren, herumlaufenden Hühnern, Gärtchen und Obstwiese und mit einem Tipi-Zelt. Aber die Kapelle entdeckten wir nicht. Da lief uns sogar ein stolzer Pfau über den Weg. Wir sahen eine Werkbank, und überall standen kuriose Dinge herum. Wir fragten uns, ob die Hütten wohl bewohnt waren, aber niemand war zu sehen oder zu hören. Da endlich, da lag sie vor uns, die Eisenkapelle. Es war fantastisch, sie vor die eigenen Augen zu bekommen und sie rundum betrachten zu können. Toll, was der Künstler da alles verarbeitet hatte, um einen Raum für die Begegnung mit Gott zu bauen: alte Türschlösser, eine Heckenschere, Fuchsschwanz, Abflussgitter, Bodenplatte, Stell- und Schwungräder und was man sich auch nur aus Eisen vorstellen mag.

Der Künstler selbst sagt: „In erster Linie ist meine Kapelle Kunst. Sie ist komplett durchlässig. Gott wohnt drinnen und draußen und der Heilige Geist kann hindurchziehen.“ Neben einem Christuskorpus findet man auch Symbole anderer Religionen, wie den siebenarmigen Leuchter oder ein Yin und Yang-Symbol. „Die Schrottkapelle soll offen für alle Menschen sein“, so Weiss. So durchlässig wie seine Kapelle, so wünscht er sich die Menschen, die sie betreten.

Wir traten ein, spürten die Offenheit des Raumes, der niemand und nichts ausschloss. Der Wind blies hindurch und doch bildete das Eisengerüst einen Raum für die Begegnung mit dem Transzendenten. Wir waren fasziniert und riefen einander zu, welches spannende Teil wir gerade in den Wänden der Kapelle entdeckt hatten. So kamen wir nach vorne und staunten nicht schlecht: da hing ein alter Telefonhörer mit Kabel daran. Ich nahm ihn ab und hielt ihn an mein Ohr. Als mein Blick dann nach oben ging, da schaute mir plötzlich Jesus entgegen. Von einem Strahlenkranz aus eisernen Werkzeugen umrundet, hatte der Künstler im Gewölbe einen Jesuskorpus integriert. Eine tolle Idee!

Als wir allmählich alles entdeckt hatten, sprachen wir noch zusammen ein Gebet. Vor der Kapelle gab es die Möglichkeit, auf aufgetürmten verrosteten Räderkränzen eine Kerze aufzustellen. Jeder von uns entzündete eine Kerze und betete für seine Lieben. So schlenderten wir noch ein wenig über den Platz und traten dann wieder unseren Heimweg an. Da ja offiziell kein Badewetter war, mussten wir auch zu Fuß wieder zur S-Bahn-Station zurück.

Die Kapelle bleibt mir im Gedächtnis, denn ich finde sie ein wunderbares Beispiel für eine offene Kirche. Oder soll ich besser sagen, ein Beispiel für einen Gebetsort, der Menschen aller Religionen und Kulturen in ihrer Sehnsucht nach Gott vereint, der durchlässig ist und so auch verbindend für das Draußen und Drinnen. Alles darf hier zusammen finden unter dem rostenden Dach von Vergangenheit und Gegenwart.

Dazu fällt mir Jesus ein, wie er wütend über die Leute im Tempel ist, weil sie die Menschen in würdig und unwürdig aufteilen und dadurch viele ausschließen. Er ruft ihnen zu: „Heißt es nicht in der Schrift: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden?“ (Mk 11,17)

Pater Thomas Heck SVD

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