„Wo warst du, als ich die Erde gegründet?“

01. Sep 2022

Gott fragt den Menschen (9): Ijob 38,4

Wie kann man an einen guten Gott glauben angesichts des Leidens vieler Menschen? Dieser Frage stellt sich das biblische Buch Ijob und eröffnet eine neue Glaubensperspektive.

„Wo warst du, als ich die Erde gegründet?“

Das Buch Ijob beginnt mit einer Rahmenerzählung, die unseren heutigen Gottesvorstellungen grundlegend widerspricht. Wir bekommen einen Einblick in den „himmlischen Hofstaat“, in dem es zu einem Streitgespräch zwischen Gott und Satan kommt. Dieser behauptet, der so vorbildlich erscheinende Ijob sei nur deshalb so gottesfürchtig, weil er von Gott mit einem besonders angenehmen und glücklichen Leben gesegnet wurde. Gott lässt sich auf die Herausforderung ein. Überzeugt von der Echtheit des Glaubens Ijobs erlaubt er Satan, Ijob all des Guten zu berauben. Und so geschieht es dann. Ijob erleidet alle Arten von Übel, die man sich vorstellen kann: Tod seiner Kinder, Verlust des Besitzes, schlimme Krankheiten. Doch noch hat er Freunde, die zu ihm halten. Sie kommen zu ihm und halten schweigend mit ihm sein unerklärliches Leid aus. Als Ijob nach sieben Tagen zu reden beginnt, versuchen auch die Freunde, ihm durch starke Worte eine Erklärung für all das Übel anzubieten. Alles, was die Theologie an Erklärungsversuchen entwickelt hat, wird aufgefahren. Irgendjemand muss doch schuld sein an dem Unglück. Wahrscheinlich habe Ijob Schuld auf sich geladen, so dass Gott ihn bestrafen musste. Doch Ijob weist ihre Deutungen klar zurück und als Leser wissen wir, dass er Recht hat.

Dies ist die erste Lektion, die wir aus diesem alten Buch lernen können: Haltet das Nichtwissen aus, hört auf mit euren ach so klugen Erklärungen für das Leid! Nach Schuld gegenüber Gott wird zwar heute seltener gefragt, doch wenn jemand z.B. an Krebs erkrankt, wird gleich nachgeforscht, ob er vielleicht geraucht hat oder sonst einen ungesunden Lebenswandel hatte. Oft müssen sich Kranke anhören, ihr Leiden hätte sicher psychische Gründe. Immer wieder begegnet der Versuch, einen Schuldigen für das Übel zu finden. Wir sollten mit diesem Geschwätz aufhören. Auch wenn es gut gemeint ist, es hilft niemandem dabei, sein Leid zu bewältigen.

Nach langen Reden von Ijob und seinen Freunden kommt dann schließlich im biblischen Buch auch Gott selbst zu Wort. Viele Theologen halten die beiden großen Gottesreden für den Höhepunkt des Buches. Gott redet eine ganze Menge, aber erstaunlicherweise gibt er überhaupt keine Antwort auf die Frage nach der Ursache des Leidens. Er erklärt auch nicht, warum er es zugelassen hat, dass Ijob so gequält wird. Stattdessen zeigt er auf, dass die ganze Schöpfung eine gute Ordnung erhalten hat. Durch viele rhetorische Fragen an Ijob macht er deutlich, dass der Mensch das letztlich nicht durchschauen kann: „Wo warst du, als ich die Erde gegründet? Sag es denn, wenn du Bescheid weißt! Wer setzte ihre Maße? Du weißt es ja.“ (Ijob 38,4f) „Hast du der Erde Weiten überblickt? Sag es, wenn du das alles weißt!“ (Ijob 38,18). Gottes Schöpfung hat eine Ordnung, in der auch für Lebewesen gesorgt ist, die der Mensch gerne ausgerottet sehen würde, Löwen, Geier, Krokodile. Ijob erlebt sein Leben als ein einziges lebensbedrohendes Chaos und vielleicht erscheint ihm deshalb auch die Schöpfung als chaotisch. Doch Gott zeigt ihm auf, dass er allem eine gute Ordnung gegeben hat.

Einzusehen, dass es eine Ordnung in der Welt gibt, die wir nicht begreifen können, fällt bis heute schwer. Eine Welt, in der es Vulkanausbrüche, Überflutungen und Dürrezeiten gibt. Eine Welt nicht nur mit Löwen, sondern auch mit Zecken, Stechmücken, mit Keimen und Viren. Eine Welt, in der Flüsse nicht einfach geradeaus fließen, wie wir es gerne hätten, sondern scheinbar chaotisch durch weite Ebenen mäandern. Das Buch Ijob lädt ein, die Welt so anzunehmen wie sie ist. Und auch Gott in seiner Unbegreiflichkeit anzunehmen. Zu ihm zu stehen, selbst wenn uns viel Leid und Nöte zugemutet werden. An ihn zu glauben, obwohl wir ihn und sein Handeln nicht begreifen können. Und auch das eigene Leben anzunehmen, in all seiner Komplexität, mit dem, was uns schön und gut und dem, was uns schlecht und leidvoll erscheint.

Das Buch Ijob endet mit einem irdischen Happyend. Ijob gelangt durch den persönlichen Dialog mit Gott zu einer neuen Erkenntnis, die er als befreiend erfährt: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut.“ (Ijob 42,5) Er wird wieder gesund und erhält von neuem Besitz, Familie, Lebensglück. Es wird dadurch die Überzeugung der Verfasser des Buches deutlich: Auch wenn uns Ursache und Sinn unseres Lebensschicksals letztlich unerklärlich bleibt, auch wenn Gott immer größer und anders ist, als wir ihn uns vorstellen können, wir dürfen vertrauen, dass er es gut mit uns meint. Dass es jedoch ein gütiger Gott zulässt, dass wir auf extreme Weise vom Bösen gequält werden, scheint für die Verfasser des Buches kein Widerspruch zu dieser Glaubensüberzeugung zu sein. Können wir uns auf die Herausforderung einlassen, die dieses alte Buch uns stellt?

Ralf Huning SVD

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