Die Enge des Frevlers und die Weite Gottes

31. Mai 2024

Psalm 36

Wieder eine Gegenüberstellung zum "Frevler": diesmal aber ist es nicht der "Arme" (wie in Ps 10), der ihn kontrastiert, sondern Gott. Und die Sünde wohnt auch im Armen!

Die Enge des Frevlers und die Weite Gottes

Psalm 36


  2 Raunen der Sünde zum Frevler inmitten meines Herzens:
     "Es gibt kein Erschrecken vor Gott!"
  3 Er sieht sich selbst zu schmeichelhaft,
     um seine Schuld zu finden und zu hassen.
  4 Die Worte seines Mundes sind Unheil und Trug,
     er gab es auf, weise und gut zu handeln.
  5 Unheil sinnt er auf seinem Lager,
     den unguten Weg betritt er, verwirft nicht das Böse.

  6 HERR, bis zum Himmel reicht deine Liebe,
     deine Treue bis zu den Wolken.
  7 Deine Gerechtigkeit steht fest wie die höchsten Berge,
     deine Urteile sind tief wie das Urmeer.
     Du rettest Menschen und Tiere, HERR.

  8 Wie köstlich ist deine Liebe, Gott!
     Menschen bergen sich im Schatten deiner Flügel.
  9 Sie laben sich am Überfluss deines Hauses,
     du tränkst sie mit dem Strom deiner Wonnen.
10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
     in deinem Licht schauen wir das Licht.

11 Erhalte deine Liebe denen, die dich kennen,
     und deine Gerechtigkeit den Menschen mit redlichem Herzen!
12 Nicht trete mich der Fuß der Stolzen,
     und die Hand der Frevler vertreibe mich nicht!

13 Da! Die Übeltäter sind gefallen,
     sie wurden umgestoßen und können nie wieder aufstehn.

Psalm 36 beginnt hoch poetisch: Die personifizierte Sünde „raunt“ im eigenen Herzen des Beters. Sie spricht mit gedämpfter Stimme. Ihr Ansprechpartner ist der „Frevler“, der im Beter selbst steckt, wenn er in sein eigenes Herz hineinhört. Was in den folgenden Versen an sündigem Verhalten beschrieben wird, gehört zu den eigenen Möglichkeiten und Abgründen des Frommen!
Was spricht die Sünde? „Es gibt kein Erschrecken vor Gott!“ Es gibt kein Sich-Verantworten vor Gott. Gott braucht dich nicht zu beunruhigen, er kommt im Alltagsleben nicht vor. Er steht dem, was sich in der Welt abspielt, gleichgültig, unbeteiligt oder aber ohnmächtig gegenüber.
In geradezu modern anmutender „Psychoanalyse“ deckt die restliche 1. Strophe das Wesen des Frevlers auf. Er ist so sehr in das Bild verliebt, das er sich selbst von sich zurechtgelegt hat, dass er zu keiner Selbstkritik mehr fähig ist und dass er nichts mehr aus dem Blickwinkel anderer sehen kann. Das verlogene Selbstbild macht ihn zu einem verlogenen Wesen. Nach dem guten, weisen Weg fragt er nicht mehr, Böses scheint ihm nicht mehr verwerflich, im Gegenteil: er heckt es nachts aus und setzt es tagsüber um. Es gibt nichts mehr, was er sich nicht erlaubt. Er hat sich in sich selbst eingemauert, sieht weder Gott, noch sein wahres Selbst, noch die Menschen um sich herum.
Plötzlich und völlig unvermittelt versetzen („entrückt“) uns die 2. und 3. Strophe in eine total konträre Welt, die in Form des hymnischen Lobpreises besungen wird. Der unerträglichen Enge des Sünderherzens wird die unendliche Weite des Gottesherzens gegenübergestellt. Du-Anrede statt Er-Beschreibung. Liebe, Treue, Gerechtigkeit statt Unheil und Trug. Gemeinschaftswille, Bewahrung und Förderung des Lebens statt Boswilligkeit. Retten, bergen, laben, tränken … Gottes Licht lässt alle Geschöpfe leben.
Die 4. Strophe ist Fürbitte für alle, die sich nicht wie der Frevler in sich verkrümmen, sondern auf Beziehung zum Du ausgerichtet sind, und für den Beter selbst, der erschrocken das Flüstern der Sünde im eigenen Innern gehört hat: dass sie nicht aus der lichterfüllten Weite Gottes in die Verschlossenheit des Sünders getrieben werden können.
Der Psalm endet mit einer weiteren (erschreckenden) Überraschung. Überraschend war der Anfang, überraschend kam die 2. Strophe – und jetzt die vorwegnehmende Schau des Strafgerichts Gottes über die „Übeltäter“.
Der Psalter ist das Gebetbuch der Armen und Elenden, die auch die Frommen, Gerechten, Redlichen genannt werden. „Arm“ sind sie ganz gewiss im materiellen Sinn, sicherlich auch, weil sie verfolgt, rechtlos und verächtlich gemacht werden, aber eins macht noch ihre „Armut“ aus: Sie wissen sich arm vor Gott, als „arme Sünder“, die nur von Gottes Gnade und Vergebung leben. Zum ersten Mal bekennt ein Armer seine Sündhaftigkeit in Ps 25. Nur langsam, nur zögerlich rückt er mit der Sprache heraus, bis es dann endlich im 11. Vers herausbricht: „Um deines Namens willen, HERR, vergib meine Schuld, obgleich sie groß ist.“ Von da an geht das Bewusstsein und Bekenntnis der eigenen Schuld¬haftigkeit nicht mehr verloren. Die „Armen“ sind auch die Demütigen, die „Armen im Geist“. Auch darin bilden sie einen Gegensatz zu den „Frevlern/Stolzen/Über¬heb¬lichen/Selbstsicheren“: dass sie um ihre innere Gefährdung wissen und dass sie Gott „fürchten“.

Foto: Kerstin Dupont/pfarrbriefservice.de

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