"Erhitze dich nicht"

02. Jul 2024

Psalm 37

Psalm 37 ist die Aufforderung zum Gewaltverzicht an einen, der knapp davorsteht, im Kampf der Armen um Gerechtigkeit zu Mitteln der Gewalt zu greifen.

"Erhitze dich nicht"

Psalm 37
 1  Erhitze dich nicht über die Bösewichter!
     Ereifere dich nicht gegen die, die niederträchtig handeln!
 2  Denn sie verwelken schnell wie das Gras,
     wie frisches Grün verdorren sie.
 3  Vertrau auf den HERRN und tu das Gute,
     wohne im Land und hüte die Treue!
 4  Habe deine Lust am HERRN!
     Was dein Herz begehrt, wird er dir geben.
 5  Befiehl dem HERRN deinen Weg,
     vertrau ihm – er wird es fügen.
 6  Er lässt deine Gerechtigkeit aufgehen wie das Licht,
     und dein Recht wie die Helle des Mittags.

 7  Werde still vor dem HERRN und harre auf ihn!
     Erhitze dich nicht über den, der auf seinem Weg Erfolg hat,
     über den, der hinterhältig handelt.
 8  Steh ab vom Zorn und lass die Wut,
     erhitze dich nicht, es führt nur zu Bösem!
 9  Denn die Bösewichter werden gefällt;
     die aber auf den HERRN hoffen, sie werden das Land besitzen.
10 Noch eine kleine Weile, und der Frevler ist nicht mehr,
     schaust du nach seiner Stätte – er ist nicht mehr da.
11 Doch die Armen werden das Land besitzen
     und ihre Lust haben an der Fülle des Friedens.

Das sind nur die ersten zwei Strophen des Psalms 37. Er ist viel zu lang, um ihn hier vollständig zu präsentieren und auszulegen. Aber diese zwei Strophen machen bereits hinlänglich deutlich, um was es geht: Ein Weisheitslehrer spricht zu einem „Hitzkopf“. Das ist laut Wörterbuch eine rasch aufbrausende Person, die schnell in Zorn gerät und dann zu unbesonnenem Handeln, zu Gewalttätigkeit neigt. „Erhitze dich nicht! Ereifere dich nicht!“ heißt es in rascher Aufeinanderfolge, dringlich, beschwörend, gleich in den ersten zwei Zeilen. Wer bringt den „Hitzkopf“ in Rage? „Bösewichter, niederträchtig Handelnde“. In der 2. Strophe werden sie als „hinterhältig Handelnde, Frevler“ bezeichnet. Das sind offensichtlich Reiche, die den Armen das Land wegnehmen, Großgrundbesitzer, die die Kleinbauern von ihrem Stück Land vertreiben. Den Angesprochenen empört das dermaßen, dass er offenbar kurz davorsteht, zur Gewalt zu greifen. Er ist – im Namen des Gottes der Gerechtigkeit und des eigentlichen Eigentü¬mers des Landes – nicht bereit, das länger hinzunehmen und ist im Begriff, sich zur Wehr zu setzen.

Auf die zwei Vetitive am Anfang folgen in der 1. Strophe gleich sieben Imperative, die das Du zu dem mahnen, was es stattdessen tun soll. „Vertrau auf Gott, der dich lehrt: Nur das Gute führt weiter!“ Pass auf, dass du IHM, der gut ist, die Treue bewahrst! Statt dich über die Bösewichter zu erhitzen, ergötze dich an IHM. Wälz auf IHN dein Problem, dann wird ER handeln und die Dinge zum Guten fügen. Dann werden sich durch dich Recht und Gerechtigkeit durchsetzen.
Die 2. Strophe stellt die positive Mahnung voran und lässt die Warnungen folgen. Der Blick auf Gott soll die Erregung abklingen lassen, aber nicht zu Resignation führen, sondern zu gespannter Erwartung. „Steh ab vom Zorn und lass die Wut“, sonst tust du gar noch Böses, setzt dich deinerseits ins Unrecht und machst dich den Bösewichtern gleich. Breiten Raum nimmt nun die Begründung ein (in der 1. Strophe nur V2, in der 2. Strophe V9-11). Die Bösewichter werden wie Gras verdorren, wie ein Baum gefällt. Es wird nicht lange dauern – und sie sind verschwunden, denn Böses hat keinen Bestand. Die Landverheißung wird sich dauerhaft nur an denen erfüllen, die auf Gott hoffen. Wenn sie das Land in Besitz nehmen, wird ein Idealzustand eintreten: „Fülle des Schaloms“, umfassender Wohlstand für alle.
Das ist das Hauptargument des Lehres an seinen klassenkämpferischen, zum Äußersten bereiten Schüler: Du wirst doch nicht das Erbe verspielen, das den Macht- und Gewalt¬losen versprochen ist und das so nahe bevorsteht!

Gewalt kann nur zerstören, nichts aufbauen. Wenn am Ende „alles gut“ sein soll, dann muss auch der Weg dorthin mit Gutem gepflastert sein.
In Brasilien, wo ich meine Jahre als Jungmissionar verbringen durfte, waren viele Kirchen dem „Senhor do bonfim“ geweiht, dem „Herrn des guten Ausgangs“. Das ist ein schöner Titel für Jesus. Wer zum Wachstum des Reiches Gottes beitragen will, muss ihn zum Wächter über den guten Ausgang all seiner Lebensituationen, Krisen und Widerfahrnisse bestellen. Er muss ihm versprechen: Ich werde in allem, was mir zustößt, was mir begegnet und widerfährt – und sei es nach menschlichem Ermessen noch so „unannehmbar“ –, den guten Ausgang wählen, Gleichgültigkeit, Feindseligkeit, Groll und Hass in mir nicht wachsen lassen, keinen Krieg beginnen, sondern zu allem sagen: Friede sei mit dir! Aus dir soll Schalom erwachsen! Ich will alles in meiner Macht Stehende tun, dass aus diesem Konflikt ein Stück heilere, nicht kaputtere Welt hervorgeht. Ich will alles Leben um mich herum hüten wie meinen Augapfel, nichts und niemanden ausschließen aus meiner Anteilnahme.
So wächst Reich Gottes. So gehen das Weiterdrehen meines Lebensrades und das Weiterdrehen des großen Rads der Geschichte der Menschheit Hand in Hand. So fallen das Gelingen „meines kleinen Lebens“ und die geistige Evolution „des Menschen-geschlechts“ in eins.

Foto: Peter Weidemann/pfarrbriefservice.de

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