22. Sonntag im Jahreskreis (C)

Predigtimpuls

Gastfreundschaft

1. Lesung: Sir 3,17-18.20.28-29 (19-21; 30-31)
2. Lesung: Hebr 12,18-19.22-24a
Evangelium: Lk 14,1.7-14

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,

wenn wir auf unsere Nahrungsversorgung schauen und die Auswahl, dann haben wir in Deutschland viel Glück, denn noch haben wir eine große Menge an Lebensmitteln, auch wenn es weniger wird und teurer. Unbewusst ist etwas vom christlichen Glauben und von den Texten des 22. Sonntags im Jahreskreis da: ein Übermaß. Denn wir haben in der Regel immer genug zu essen und zu trinken. In anderen Ländern ist dies nicht der Fall.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder und Jugendliche,
der Mittelpunkt christlichen Glaubens ist das Übermaß der göttlichen Barmherzigkeit. Dies zeigt sich vor allem an Ostern bzw. in der Auferstehung Jesu, die wir Christen jeden Sonntag feiern, ausgedrückt. Gott hat dem Menschen auf dem Weg Jesu in den Tod und im Durchbrechen des Todes in der Auferweckung Jesu LEBEN geschenkt, ihn von Schuld und Sünde befreit und eine Zukunftsperspektive über den Tod hinaus eröffnet. Gott lässt den Menschen im neuen Jerusalem Gast sein. Das ist die endzeitliche Verheißung, wie sie der Hebräerbrief formuliert: „Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem,... zu Gott, dem Richter aller, … zum Mittler eines neuen Bundes, Jesus.“ Dieser Fülle der Gastfreundschaft entspricht aufseiten des Menschen eine Haltung der Demut, ein je neues Hören auf Gottes Wort, denn ein Ohr, das auf die Weisheit hört, macht Freude. Das ist auch die Haltung Marias: Eine Demut und Gottesfurcht, die darauf vertraut, dass Gott „groß“ macht und etwas vollbringen kann, dass Gott menschliche Maßstäbe umwertet und eine Freundschaft schenkt, die größer ist als alles, was Menschen wünschen, erwarten und hoffen können. Diese Fülle der göttlichen Barmherzigkeit stellt der Evangelist Lukas immer wieder mit der Referenz auf das Gastmahl und die gewährte und empfangene Gastfreundschaft vor Augen. Beim Gastmahl wird Jesus von einer Frau gesalbt; beim Paschamahl wäscht Jesus den Jüngern die Füße, teilt Brot, spricht: Nehmt den Wein und verteilt ihn untereinander! Auch im Evangelium des heutigen Sonntags ist es das Bild des Gastmahles, das Jesus in einer Lehrparabel – wahrscheinlich einem Wort an seine Jünger – aufgreift.
Gastfreundschaft ist in der antiken Philosophie, liebe Schwestern und Brüder, ein zentrales Moment der Tugendlehre und politischen Ethik. Aristoteles greift sie auf in der Charakterisierung verschiedener Dimensionen der Freundschaft, die ein zentraler Schlüssel für ein gutes Leben und Ermöglichungsgrund von Gerechtigkeit ist, denn wenn wir teilen, wird es gerechter auf dieser Welt. Gastfreundschaft wird dem bzw. der Fremden gegenüber gewährt, und sie stellt so das Prinzip der Freundschaft, das in der aristotelischen Philosophie nur zwischen Gleichen möglich ist, in einen weiteren Horizont. Gerade darum greift Lukas zur Charakterisierung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch auf das Bild der Gastfreundschaft zurück. Gott ist und bleibt für den Menschen der „Andere“, der „Fremde“, aber genau dieser Andere lädt uns ein, Gast bei ihm zu sein. Wenn Jesus seine Jünger Freunde nennt, wertet er das antike Prinzip der Freundschaft auf. Seine Freundschaft durchbricht alle Schranken und Grenzen sozialer, ethnischer oder geschlechtlicher Zugehörigkeit. Denn das gibt es nicht mehr, wie Paulus im Galaterbrief schreibt, „Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, sondern wir alle – Arme und Reiche, Junge und Alte, Frauen und Männer – sind ‚einer‘ in Christus Jesus; wir alle sind zum Gastmahl eingeladen.“
Sieger Köder, der 2015 verstorbene schwäbische Malerpriester, hat das Mahl der Vielen gemalt. Viele kennen dieses Bild: Weiße, Schwarze, Alte und Junge, Männer und Frauen, Arme und Kranke sind hier versammelt; sie teilen das Brot. Zu sehen sind die Hände Jesu, die austeilen; er selbst tritt durch die Tür und gesellt sich zur Mahlgemeinschaft in der Gestalt des Fremden. Er ist der Fremde, der als Gast unser Gastgeber wird. In den klösterlichen Traditionen, so auch in der benediktinischen Ordensregel, ist dies festgehalten: Im Gast, dem Fremden, können wir Jesus Christus begegnen.
Im Evangelium, liebe Schwestern und Brüder ..., stellt Jesus die Überfülle dieser göttlichen Gastfreundschaft uns vor Augen. Er geht auf die Rollen des Gastes und des Gastgebers ein und macht deutlich, wie vor Gott jede „win-win-Situation“ durchbrochen ist, denn der Gast wird gemahnt, nicht einen besonderen Platz einzunehmen, sondern sich auf den untersten Platz zu setzen, und der Gastgeber soll nicht Freunde, Brüder, Verwandte oder reiche Nachbarn einladen, sondern Arme, Krüppel, Lahme und Blinde. Gottes Einladung hängt nämlich nicht von einer Gegenleistung ab, und sie macht nicht halt vor Grenzen des Standes, von Macht, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Orientierung …, sondern sie erhöht gerade, wie Maria es im Magnificat singt und wie es in den Seligpreisungen deutlich wird, die Niedrigen. Der Mensch kann sich daran orientieren, weil genau dies die Verheißung der Zukunft ist, eines Lebens in der Stadt des lebendigen Gottes. Dann wird Gott eine solche Haltung „vergelten“, der der Auferstehung der Toten. So führen die Texte des heutigen Sonntags in das Herz christlichen Glaubens: Gast eines Anderen zu werden, mit Übermaß. Gast eines Anderen zu werden und so Ihm Platz zu machen, denn dieser Gastgeber lässt auch vor allem Arme und Schwache eintreten. Das wir Gast und Gastgeber sind, das sind zentrale Perspektiven für die Kirche, das sollen wir als lebendige Glieder der Kirche auch leben, so gut es geht!

Michael Schmitt, Pfarrer

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