Helena Stollenwerk SSpS

Helena Stollenwerk SSpS


1852 in Rollesbroich, einem Dorf der Nordeifel, geboren. China war von Kind an ihre Sehnsucht. Zehn Jahre hat sie vergeblich nach einem Missionsorden für Frauen gesucht, bis sie Arnold Janssen und das neugegründete Missionshaus in Steyl/Niederlande kennen lernt. Von 1882 bis 1889 ist sie mit anderen Frauen in hauswirtschaftlichen Arbeiten des Missionshauses tätig.

1889 gründet Arnold Janssen die Gemeinschaft der Steyler Missionsschwestern, Dienerinnen des Heiligen Geistes. Sie wird die erste Oberin. Statt nach China zu gehen, bildet sie junge Frauen aus, die als Missionsschwestern in Übersee eingesetzt werden können. 1898 tritt sie in die kontemplative Gemeinschaft der Steyler Anbetungsschwestern über, wo sie noch ausschließlicher für die Nöte der Menschen und die Weltkirche betet. Am 03.02.1900 stirbt sie an tuberkulöser Hirnhautentzündung.

Am 07. Mai 1995 wird sie seliggesprochen.

Ein Leben für die Mission: Maria Helena Stollenwerk - ausführliche Biographie von P. Karl-Josef Rivinius SVD

Vorbemerkungen

Im Dekret über den heroischen Tugendgrad der Helena Stollenwerk vom 14. Mai 1991 heißt es unter anderem: „Die letzten Worte, die Jesus vor seiner Himmelfahrt sprach (Apg 1,8), waren nicht nur im Herzen der Dienerin Gottes Maria (Helena) Stollenwerk, lebendig, sondern wurden auch zu ihrem Lebensprogramm. Schon als Kind spürte sie in sich das Verlangen, sich ganz an Gott zu verschenken und zu jenen Völkern zu gehen, die Christus noch nicht kennen. Sie wollte das Evangelium der Erlösung verkünden und so am Kommen des Reiches Gottes und am Heil der Welt mitwirken.

Gottes Vorsehung jedoch entschied anders; statt sie in ein Missionsland zu führen, berief Gott sie dazu, mit dem heiligen Arnold Janssen in Verborgenheit, Demut und Gehorsam an der Gründung der Missionskongregation der Dienerinnen des Heiligen Geistes mitzuwirken und sich für die religiöse und apostolische Ausbildung ihrer Mitglieder ganz einzusetzen. Die Erfüllung des Willens Gottes und die treue Übung der christlichen Tugenden waren der Inhalt ihres Lebens. Im Glauben fand sie das Licht und die Kraft, ihre religiöse und missionarische Berufung bis zum Ende zu leben. Ihr tugendhaftes Leben wurde von allen, die sie kannten, hochgeschätzt und bewundert. Sie stand schon während ihres Lebens im Ruf der Heiligkeit. Da sich diese Meinung festigte und in den Jahren nach ihrem Tod wuchs, entschied der Bischof von Roermond, mit der Eröffnung des Informativprozesses (1950-1952) die Causa zur Kanonisation einzuleiten.

Am 7. Mai 1995 hat Papst Johannes Paul II. Maria Helena Stollenwerk zusammen mit drei weiteren Ordensleuten, zwei Schwestern und einem Priester, in Rom selig gesprochen. Wer war diese Frau und wie gestaltete sich ihr Lebensweg, die als Mitbegründerin der Missionskongregation der Dienerinnen des Heiligen Geistes bezeichnet wird?



1. Biographische Daten und Fakten

Helena Stollenwerk erblickte am 28. November 1852 in dem kleinen, unbedeutenden Eifeldorf Rollesbroich in der Gemeinde Simmerath in Nordrhein-Westfalen das Licht der Welt. Damals gehörte ihre Heimatgemeinde zur Erzdiözese Köln, heute zählt sie zum Bistum Aachen. Bei ihrer Geburt war ihr Vater Johann Peter Stollenwerk bereits 67 und ihre Mutter Anna Maria erst 28 Jahre alt. Helena Stollenwerk war das erste von zwei Kindern aus der dritten Ehe von Johann Peter, der zunächst als Fuhrmann und später als „Ackerer" (Landwirt) den Lebensunterhalt verdiente.

Aus der ersten Ehe ihres Vaters, eines offensichtlich angesehenen und vermögenden Mannes, stammten acht Kinder, von denen drei taubstumm waren. Nach dem Tod der ersten Frau heiratete er ein zweites Mal, doch auch die zweite Frau starb allzu früh. Am 22. Januar 1852 heiratete Johann Peter Helenas Mutter. Im Mai 1859 starb Helenas Vater und drei Monate später ihre vierjährige Schwester Carolina. Mit 35 Jahren war ihre Mutter Witwe. Ein Jahr später vermählte sie sich mit dem zehn Jahre älteren verwitweten Hufschmied Johann Peter Breuer, der drei Mädchen in die Ehe brachte. Helenas Mutter brachte 1863 nochmals ein Mädchen zu Welt.

Helena Stollenwerk wuchs in einer Familie auf, zu der vier Generationen gehörten. Infolgedessen waren die Beziehungen zu- und untereinander durch Alter, Art der familialen Zugehörigkeit und körperlichen Gebrechen, durch Mentalität und Lebenserfahrung vielfältig, was von ihr eine enorme Flexibilität und Sensibilität im Miteinander erforderte. Früh sah sie sich mit Krankheit und Tod ihr nahe stehender Menschen konfrontiert: elementare zwischenmenschliche Erfahrungen, die ihr Menschen- und Gottesbild nachhaltig geprägt hatten.

Ihrem Vater gehörten mehrere Häuser sowie eine Gastwirtschaft, in der Helena Stollenwerk häufig aushelfen musste. Gleich den anderen Kindern des Dorfs hütete sie das Vieh. Zusammen mit rund 90 Kindern besuchte sie die einklassige Schule in Rollesbroich. Noch nicht zehn Jahre alt, erhielt sie Kommunionunterricht. Am Fest Christi Himmelfahrt 1863 empfing sie zum ersten Mal den Leib des Herrn; im folgenden Jahr wurde sie gefirmt. Zu Vikar Johann Leonard Jülich gewann sie ein besonderes Vertrauen; dieser wurde ihr geistlicher Wegbegleiter, den sie später selbst noch von Steyl aus um seinen Rat ersuchte.

Helena Stollenwerk wuchs in einer Zeit auf, als das religiöse Leben in der Kirche neu erwachte und die Verpflichtung für die Weltmission wieder stärker ins Bewusstsein trat. Die Verehrung des Herzens Jesu, die wie das Gebetsapostolat von Frankreich den Ausgang genommen hatte und in dessen Mittelpunkt die göttliche und affektiv besetzte Liebe Christi zu den Menschen stand, erlebte damals einen Höhepunkt. Beiden geistlichen Bewegungen, die sich rasch in viele Länder ausbreiteten, lag die Idee zugrunde, dass das Gebet Jesu Christi das allein authentische sei, von dem jedes andere Gebet getragen werde. Der betende Mensch gleiche sich Christus an, wenn er dessen Anliegen sich zu eigen mache und sich mit und in ihm bei der hl. Messe dem Vater darbringe.

Im Anschluss an die paulinische Lehre vom mystischen Leib Christi betrachteten die Propagatoren und Repräsentanten des Gebetsapostolats dieses Glaubensgeheimnis unter einem seelisch-aszetischen sowie unter einem mehr äußerlichen Aspekt. Danach sei der Christ gehalten, seinen Standespflichten mit einer adäquaten Innerlichkeit nachzukommen. „Der Mensch bietet auf diese Weise sein Leben Christus an, und Christus kommt dem Menschen im Austausch der Liebe entgegen und erneut dabei dessen Herz." Überdies will Christus das Heil der Welt. „Die Kirche hat den Auftrag, dieses Heil zu vermitteln. Der Auffassung der Zeit gemäß schreitet der Papst der Kirche voran, um immer mehr nichtchristliche Völker in die Kirche aufzunehmen. Die Absichten Christi werden somit in den Absichten des Papstes sichtbar... Das Reich Gottes wird zum ,sozialen Reich des Herzens Jesu'. Die Bemühungen der Christen müssen dahin gehen, diesem sozialen Reich zum Triumph zu verhelfen. Dazu ist missionarische Aktivität notwendig, die besonders seit 1874 den Mitgliedern des Gebetsapostolates empfohlen wurde. Helena Stollenwerks Frömmigkeit und Spiritualität sind von dieser geistlich-religiösen Ideenwelt und Atmosphäre ebenfalls stark beeinflusst worden, allerdings mehr unbewusst und unreflektiert.

Von frühester Kindheit an fühlte sie sich besonders hingezogen zum Kindheit-Jesu-Verein - heute „Päpstliches Missionswerk der Kinder". Die eindrucksvolle Lektüre der „Jahrbücher" und namentlich die Berichte über das Los nichtchristlicher Kinder, die vom ewigen Heil ausgeschlossen waren - speziell in China -, verfehlte nicht ihre Wirkung, vielmehr wurde sie davon derart affiziert, dass sie den Entschluss fasste, ihr Leben in den Dienst der Glaubensverbreitung zu stellen. In den Veröffentlichungen, Veranstaltungen und Feiern des Vereins, namentlich denen vom 28. Dezember - für sie „das freudigste Fest des ganzen Jahres" - erhielt sie jene Anregungen, die sie immer entschiedener dieses Ziel ins Auge fassen ließen. Sie hielt sich jedoch für nicht hinreichend begabt, die chinesische Sprache zu lernen. Sie möchte des ungeachtet Missionarin werden, dachte anfangs jedoch nicht daran, sich einer entsprechenden Ordensgemeinschaft anzuschließen. Mit ungefähr sechzehn Jahren las sie dann in einem Heft von europäischen Ordensfrauen, die Chinesisch lernten; das machte ihr Mut.

Helena Stollenwerk fokussierte sich keineswegs ausschließlich auf die Misere im fernen China, die sie mit ihrem Einsatz verringern wollte. Vielmehr setzte sie sich auch für notleidende Menschen in ihrem Lebensbereich ein, packte mit an, wo immer es sich als nötig erwies, und sie stand denen zur Seite, die Hilfe bedurften. Entstand in ihrem Umfeld durch Krankheit und Tod eine Notlage, dann sprang sie ein. Sie verzichtete auf neue Kleider, Schmuck und diverse Vergnügen, um das Ersparte den Kindern in China zukommen zu lassen. Denn diesem ostasiatischen Land und seinen Bewohnern galt ihre besondere Aufmerksamkeit, Liebe und ihr Gebet.

Ihre ernsthafte Absicht, sich ganz dem Dienst der Glaubensverbreitung zu widmen, lässt sich unter anderem daran ablesen, dass sie ab dem zehnten Lebensjahr für zwei Dezennien Beiträge für den Kindheit-Jesu-Verein gesammelt und für ihn geworben hat. Als Helena Stollenwerk trotz der von ihrer Familie vorgebrachten Einwände und gemachten Schwierigkeiten sich im Alter von zwanzig Jahren einer missionarischen Gemeinschaft anzuschließen gedachte, musste sie zu ihrem großen Leidwesen erfahren, dass es in Deutschland noch keine Missionskongregationen gab, die Frauen nach China sandten. Im übrigen ließen die kirchenfeindlichen Maßnahmen im Gefolge des Kulturkampfs jeglichen Ansatz einer Neugründung im Keim ersticken.

Um beim quälenden Warten und beschwerlichen Suchen nicht zu ermüden, machte sie das Gelübde, nicht ruhen zu wollen, bis sie die Schwelle eines Klosters überschritten hätte, das sich der Missionstätigkeit in China verpflichtet wusste. Im Frühjahr 1882 traf sie erstmals mit Arnold Janssen, dem Gründer des Steyler Missionshauses zusammen, das im März 1879 seine beiden ersten Missionare, Johann Baptist Anzer und Josef Freinademetz, nach China entsandt hatte. Bald erkannte sie, dass Steyl der Ort ihrer missionarischen Berufung war. Im Dezember desselben Jahres schloss sie sich dem Werk von Arnold Janssen an.


2. Zur Geschichte der Gründung der Missionsgenossenschaft der Dienerinnen des Heiligen Geistes

Bereits 1874, also ein Jahr vor Gründung des Missionshauses St. Michael in Steyl, baten zwei Frauen Arnold Janssen um Aufschluss darüber, ob sie in einem etwa neu gegründeten Haus zur Vorbereitung auf eine Missionstätigkeit Aufnahme finden könnten. Anhand fragmentarischer Notizen lässt sich schließen, dass seine Antwort anscheinend nicht endgültig negativ gewesen ist. Die Anfragen der beiden missionsbegeisterten Frauen waren möglicherweise eine Reaktion auf die seinerzeit im Kleinen Herz-Jesu-Boten erschienene Aufforderung an die Frauenorden Deutschlands, von denen viele aufgrund der kulturkämpferischen Maßnahmen mit Vertreibungen aus der Heimat rechnen mussten, sich der Weltmission zur Verfügung zu stellen. Unter Bezugnahme darauf heißt es in einer zeitgenössischen Darstellung: „Diese Gedanken Arnold Janssens zeigen seine richtige Einsicht und sein lebhaftes Interesse für die Missionsschwestern. An die Gründung einer solchen Kongregation dachte er aber zu jener Zeit noch nicht."

Im Gründungsjahr wie auch in der Folgezeit wurden wiederholt ähnliche Fragen und Bittgesuche an Arnold Janssen bezüglich eines weiblichen Zweigs seines Missionsunternehmens gerichtet. Sie zeigten ihm, dass er mit Aspirantinnen rechnen konnte, falls die Idee einer weiblichen Abteilung im Missionshaus fassbarere Gestalt annehmen und er in seiner Zeitschrift zum Eintritt in Steyl aufrufen würde.

Bald kristallisierte sich indes bei Arnold Janssen die einsichtige Überzeugung, dass es durchaus vorteilhaft und sinnvoll sei, eine weibliche Genossenschaft zu gründen, die sich die Mitarbeit am Missionswerk zur Hauptaufgabe setzte. Er selbst gab am 23. September 1899 diesbezüglich zu Protokoll: „Schon bei Gründung des Hauses wurde die Frage ins Auge gefasst, ob auch später mit der männlichen Genossenschaft eine weibliche würde vereinigt werden müssen. Indessen war dies beiseite gelassen, da es vorerst noch so vieles Andere durchzusetzen und zu ordnen gab. Jedoch wurden die sich bietenden Gelegenheiten benutzt, um über die so wichtige Sache urteilsfähige Personen um Rat zu fragen." Als kompetenten Ratgeber betrachtete Arnold Janssen unter anderem den Apostolischen Vikar des Sudan, Daniele Comboni. Anlässlich seines Besuchs in Steyl Anfang November 1877 meinte dieser zwar, man könne ebenfalls eine weibliche Genossenschaft zur Mitarbeit einladen, doch sei ein derartiges Unternehmen mit zahlreichen Schwierigkeiten verknüpft. Deshalb riet er seinem Gesprächspartner Janssen mit allem Nachdruck, „eine eigene Genossenschaft zu gründen". Dieser konnte sich aber noch nicht entschließen, Hand ans Werk zu legen, bis er deutlichere Fingerzeige von oben erhalten habe. Ende November 1879 erklärte sich Comboni bereit, neben Steyler Priestern und Brüdern auch Steyler Schwestern in sein Missionsgebiet aufzunehmen. Er bat um eine exakte und verbindliche diesbezügliche Auskunft.

Allerdings führte Arnold Janssen die Korrespondenz mit an der auswärtigen Mission interessierten Frauen weiter. Doch schien ihm die Zeit noch nicht gekommen, ein derartiges Projekt in Angriff zu nehmen, vermerkte er doch am Kopf eines entsprechenden Bittgesuchs aus dem Jahr 1876: „Noch muss mehr der Finger Gottes abgewartet werden." Auch in dieser Angelegenheit wollte der ganz übernatürlich eingestellte Steyler Gründer erst dann aktiv werden, wenn er den Willen Gottes klar erkannt hatte.

Die erwarteten Fingerzeige erblickte Arnold Janssen in den neuen Meldungen für einen missionarischen Einsatz von mehreren jungen Frauen ab dem Jahr 1882. Eine von ihnen war Helena Stollenwerk, die nach vergeblichem Bemühen um ein entsprechendes Kloster von Hubert Cremer, Rektor an der Kirche zum hl. Alfons in Aachen, der für den Kindheit-Jesu-Verein gearbeitet hatte, Arnold Janssens Adresse erhielt. Durch Vermittlung ihres Seelsorgers, Vikar Leonhard Jülich, bat sie jenen um Rat und Hilfe. Im Antwortschreiben nannte Arnold Janssen mehrere Anschriften von Klöstern, an die sie sich wenden könne; zugleich erbat er ihren Lebenslauf, da er vielleicht später etwas für sie zu tun vermöge. Am 24. Oktober 1881 richtete Helena Stollenwerk ihr erstes Bittgesuch nach Steyl; dem beigefügten Lebensabriss fügte sie die inständige Bitte an: „Ehrwürdiger Vater, ich bitte, so dringend ich nur bitten kann, nehmen Sie sich doch meiner um der Liebe Gottes willen an. Was mich betrifft, so ist es mir einerlei, wo mir die Aufnahme gewährt wird, auch wenn ich gleich nach China gesandt werde. Wenn nur der wahre Ordensgeist im Kloster herrscht."

Konnte Arnold Janssen sich mit gutem Gewissen diesem eindringlichen Begehren verschließen? Sollte er auf weitere, signifikante Anzeichen des göttlichen Willens warten? Andererseits wuchs und gedieh seine erste Gründung wider Erwarten und trotz aller negativen Prognosen. Zudem hatte ihm der missionskundige Msgr. Comboni energisch zum Aufbau einer Schwesternabteilung geraten. Wie sollte er sich verhalten?

Zwei Wochen nach der Ausreise der beiden Steyler Missionare nach China am 2. März 1882 weilte Helena Stollenwerk zum ersten Mal in Steyl. Sie hoffte, Arnold Janssen könne ihr weiterhelfen und sie in einen Frauenorden für auswärtige Missionen vermitteln.

Schon bei ihrem ersten Besuch in Steyl hatte Helena Stollenwerk ein solches Vertrauen zu Arnold Janssen gefasst und sich dort so wohlgefühlt, dass sie sich am Ort ihrer Berufung wähnte. Ihrer Absicht, ins dortige Missionshaus einzutreten, stellten sich eine Reihe innerer Bedenken und beängstigender Zweifel sowie zahlreiche äußere Widerstände entgegen, insbesondere von Seiten der Familie. Im Gebet und in vertrauensvollen Gesprächen rang sie um Klarheit. Schließlich stand ihr Entschluss endgültig fest. In Begleitung ihrer Eltern kam sie am 30. Dezember 1882 in Steyl an und schloss sich damit im Alter von mittlerweile dreißig Jahren dem Werk von Arnold Janssen an. In der Folgezeit verrichtete sie Dienste als Hausangestellte. Als Theresia Sicke aus Lippstadt, die bereits drei Jahre im Missionshaus um Gotteslohn zugunsten des Missionswerks als Gehilfin der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung, die seit Frühjahr 1876 die Küche und die Wäsche besorgten und in einem abgesonderten Teil des Hauses wohnten, von einer eventuellen Klostergründung für Missionsschwestern hörte, gesellte sie sich Helena Stollenwerk zu. Kurz danach traf Theresia Volpert in Steyl ein und binnen Jahresfrist Hendrina Stenmanns von Issum am Niederrhein, die als zweite Mitbegründerin der Dienerinnen des Heiligen Geistes gilt. Die vier Hausangestellten bildeten eine kleine Gemeinschaft, der anfangs lediglich ein Zimmer als Wohn- und Schlafraum zur Verfügung stand. Sie hatten eine harte Arbeit zu verrichten, denn die Zahl zukünftiger Missionare nahm ständig zu, und es gab häufige Exerzitien für Außenstehende, die gleichfalls zu versorgen waren. Zwar war Helena Stollenwerk nun am Ort ihre Sehnsüchte, aber noch keineswegs am Ort ihres eigentlichen Wunsches, nämlich Mitglied einer Ordensgemeinschaft zu sein. Die klosterähnlich lebende Gemeinschaft der vier Frauen, denen in mehrfacher Hinsicht äußerst viel zugemutet wurde, war für Arnold Janssen eine permanente Erinnerung, die Schwesterngründung nicht aus dem Auge zu verlieren. Kompliziert, pedantisch und zögerlich wie er war, dazu vermutlich verunsichert, wie er sich als Priester den Frauen gegenüber zu verhalten hatte, verstrich enorm viel Zeit; ihre Langmut wurde auf eine harte Probe gestellt, bis er sich endlich zu einer Entscheidung durchgerungen hatte. „Der Superior erprobte sie in der Demut, in der lautlosen Geduld und im stillen Ausharren. Aber Helena Stollenwerk ließ sich dadurch weder demütigen noch zerbrechen. Sie kämpfte weiter. Sie blieb ihrer Berufung treu, auch als der, der ihr für ihre missionarische Aufgabe den Weg ebnen sollte, sie enttäuschte.“

Die kleine Gemeinschaft setzte ihre ganze Hoffnung auf das erste Generalkapitel 1885. Auf ihm verabschiedeten die Kapitulare zwar eine Absichtserklärung zwecks Gründung einer Schwesternkongregation, offenbar glaubten sie selbst indes nicht, dass dieses Projekt sich in nächster Zukunft realisieren ließe. Die vier Frauen informierte man nicht über diese Intention, wohl um keine trügerischen Hoffnungen zu nähren. Des zermürbenden, schier ausweglosen Wartens überdrüssig und nicht gewillt, sich länger mit vagen Beteuerungen hinhalten zu lassen, verließ Maria Theresia Volpert nach drei Jahren Steyl und trat in Mariannhill bei den „Schwestern vom Kostbaren Blut" ein. Ihre Stelle nahm bald Gertrud Hegemann ein, die allerdings gesundheitlich und emotional den Anforderungen der Arbeit und der Gemeinschaft nicht gewachsen war. Infolgedessen ergaben sich erste Schwierigkeiten und Konflikte im Kreis der vier Frauen, die eine ernsthafte Krise auslösten.

Physisch und psychisch äußerst angespannt, fragten sie sich, ob sie eine richtige Entscheidung getroffen hatten und Steyl der gottgewollte Platz für sie war. Auch Helena Stollenwerk wurde heftig verunsichert und verlor ihren inneren Frieden. Hatte sie sich ebenfalls falsch entschieden, und hatte sich Steyl als Sackgasse erwiesen? Rieben sie und ihre Gefährtinnen ihre Kräfte nicht in aufzehrender Arbeit auf ohne begründete Aussicht, je ans ersehnte Ziel zu gelangen? Bohrende Fragen, die einer redlichen Antwort harrten. In ihrer Seelennot wandte sie sich deshalb an ihren früheren Beichtvater, Vikar Jülich. Ihr Brief ist nicht mehr vorhanden. Aber aus der Antwort lässt sich erschließen, welche Zweifel an ihrer Berufung sie gequält haben: „Wenn Sie also so viele Kämpfe haben, Fragen und Zweifel, so seien Sie zunächst gewiss, dass das kein schlimmes, sondern ein gutes Zeichen ist. Die große Berufsgnade will Gott auch geschätzt sehen, indem wir großmütig Opfer bringen. Dieses Läutern geht wie in einem Schmelztiegel: o, wie das glüht und zischt und brodelt und glimmt!" Vikar Jülich bewertet ihre Bedenken und Unsicherheiten als „Einflüsterungen des Versuchers" und verweist sie auf den inneren Weg mit Gott, auf „die Gottessorge, die Liebe Gottes"; dies sei das eigentliche Ziel des Ordenslebens. Er stellt ihr Paulus als den wohl größten Missionar vor Augen, der sich zuvor in die Wüste zurückgezogen habe. Schließlich versichert er ihr, fest davon überzeugt zu sein, dass sie zur Ordensfrau berufen sei, und er charakterisiert sie als eine Frau, der Gott „ein Herz voll Teilnahme und Liebe für seine Seelen gegeben, Offenheit, resolutes Wesen und heiligen Frohsinn". Deshalb habe er sie ermuntert, ins Kloster zu gehen.

Allem Anschein nach haben diese Gedankengänge die emotional aufgewühlte und stark verunsicherte Helena Stollenwerk bewogen, in Steyl zu bleiben und das Leben dort mit gewissen Einschränkungen innerlich zu akzeptieren, wenngleich sie manches durchaus nüchterner sah und auch beanstandete, beispielsweise das Faktum, dass Arnold Janssen den Frauen nur selten den Kommunionempfang zugestand.

Den vereinbarten, sukzessiven Auszug der Schwestern von der Göttlichen Vorsehung aus Steyl bereitete man dadurch vor, dass Brüder - ihre Zahl war inzwischen beträchtlich angewachsen - mit der Küchenarbeit vertraut gemacht wurden. In Gewissheit dessen, was seiner harrte, bekannte Arnold Janssen am 8. Juni 1887 seinem Ratgeber, dem Lazaristenpater Ferdinand Medits: „Wir nähern uns immer mehr dem Zeitpunkt, wo wir die Schwestern [von der Göttlichen Vorsehung] entlassen und unsere Brüder selbst die Küche übernehmen können. Aber dann ist die große Frage: Was mit den vier Mägden anfangen. Soll man sie behalten, so muss man in der Nähe ein Haus für sie einrichten mit Küche usw. und die Ausbesserung der Wäsche ihnen übergeben. Dann muss man aber noch neue dazu annehmen und dann lässt sich der Entschluss, aus diesen Elementen eine weibliche Kongregation zu bilden, nicht länger aufschieben. Davor aber schrecke ich zurück. Das gibt neue Mühe und Sorgen, und ich weiß wirklich nicht einmal, allen bisherigen Pflichten zu genügen." In diesem Zeitraum war - nach dem Rotationsprinzip - Helena Stollenwerk die Sprecherin der kleinen Gruppe.

veröffentlicht in "Die Anregung", 2/2006 und 3/ 2006, Steyler Verlag, Nettetal

Literatur

Grün, Anselm:

Treue auf dem Weg. Der Weg der Helena Stollenwerk 1852 - 1900, ISBN 3-87868-9, 116 Seiten

Liturgische Texte

Der Gedenktag der Seligen Helena Stollenwerk ist der 28. November.

Messtexte zum Gedenktag der Seligen Helena Stollenwerk können Sie hier als pdf-Datei herunterladen.

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