01. Okt 2004
Wir beten, dass die Katholiken im öffentlichen Leben und in den Kommunikationsmitteln Lateinamerikas immer mehr und qualifizierter präsent sind.
Es ist seit langem kein Geheimnis mehr, dass die Medien in der Gestaltung und Sinngebung der Gesellschaft eine zentrale Stellung einnehmen. Allerdings gibt es verschiedene Modelle, den Platz und die Handlungsweise der Medien zu bestimmen und zu verstehen.
Die Tropfinfusion ist verstopft
Die lateinamerikanische Bischofskonferenz von Santo Domingo (1992) hat in ihrer Situationsanalyse und pastoralen Planung viel über Medien gesprochen. Man hatte dabei den Eindruck, dass das zugrundeliegende Modell das der Tropfinfusion ist: der Patient liegt hilflos da und bekommt über die Nadel die Infusion direkt ins Blut. Wenn diese Infusion ihm Gewalttätigkeit, Sex und Gottlosigkeit einfließen lässt, ist es kein Wunder, dass die Gesellschaft sich in diese Richtung entwickelt. Das wird im Schlussdokument von Santo Domingo immer wieder bedauert. Daher sei es so wichtig, dass sich die Katholiken in den Medien verantwortlich ausdrücken, denn in diesem Fall würde ja über die Infusionsnadel der gesunde Lebenssaft in den Körper der Gesellschaft einfließen.
Diese Darstellung scheint viel zu simpel zu sein, lässt sich aber nachweisen, und diese Theorie weckte noch in den 60iger Jahren durchaus Begeisterung. Inzwischen wird die Beziehung zwischen Gesellschaft und Medien aber viel komplizierter gesehen. Es stimmt einfach nicht, dass die Gesellschaft die Inhalte der Medien passiv hinnimmt und sofort und blind in die Tat umsetzt. Daher ist es gar nicht die Frage, welcher Inhalt - die gesunde christliche Gesellschaftssicht oder eine verderblich materialistische Ausrichtung - einem statischen Gesellschaftskörper einverleibt wird. Denn die Gesellschaft ist ein sehr dynamisches Gefüge und nimmt die verschiedenen Botschaften in sehr kreativer Weise auf. So hat ein wichtiger Forscher (Jesús Martín Barbero) in den 80iger Jahren für Aufregung gesorgt, weil er behauptete, die telenovelas (Seifenopern) seien weit mehr als ein Mittel der Entfremdung. Die Hausfrauen, die diese Fernsehprogramme anschauen, hätten nämlich wenig Interesse an der Ideologie dieser Serien, sondern vielmehr daran, welche Handtasche oder Frisur da gezeigt werde.
Angebot, Verführung, Verhandlung
Die Medien werden in komplizierteren Modellen als Aushängeschild und Indikator von gesellschaftlichen Prozessen gesehen - vor allem, wenn man ihre Unschuld beteuern will - oder als Mittel, worüber die verschiedenen Gruppen in dieser Gesellschaft ihre Machtansprüche durchsetzen wollen. Auf jeden Fall geht es um eine sehr komplizierte Interaktion verschiedener Gruppierungen, und die Schlagworte Angebot, Verführung und Verhandlung zeichnen die Prozesse besser nach. Alle drei können negativ gesehen werden, haben aber auch ihre positiven Seiten: Man redet immer noch zu recht vom Heilsangebot und man möchte schon auch gelegentlich einmal eine verführerisch schöne Predigt oder Kirchenmusik hören...
Es geht dabei um eine andere Beziehung der "Kirche" zur "Gesellschaft": nicht um das Vorsetzen der ewigen Wahrheiten, die ohnehin kaum jemanden interessieren, sondern um das Angebot von Elementen, die dann in einem kreativen Prozess von den Personen, Gruppen und der Gesellschaft in eine persönlich verantwortete Weltanschauung integriert und so zur persönlichen und gesellschaftlichen Handlungsmotivation werden. In der Kirche kostet es immer noch viel Mühe, von der Notwendigkeit auszugehen, die Inhalte mit den Teilnehmern an einem wirklichen Kommunikationsprozess auszuhandeln. Das würde ja heißen, vom Verstehenshorizont der Leute auszugehen und entsprechend die eigene Rede zu gestalten. Das ist dann das Ende der "ewigen Wahrheiten", wenigstens in einem ersten Moment, aber die gemeinsam erarbeiteten und kommunizierten Wahrheiten wären halt viel tragfähiger und sinnvoller für alle.
Ausbildungsmodelle
Eigenartigerweise sind diese Grundeinsichten in den Kommunikationsprozess und in die Bedeutung der Medien in der Gesellschaft in Lateinamerika schon lange von der Kirche sehr kreativ vorgestellt worden. Seit den 60iger Jahren waren es besonders Medien der Kirche, die einen Raum für Demokratie, Gesellschaftsveränderung, öffentliche Diskussion und kreative Kommunikation vorangetrieben haben. Danach ging es noch um das Durchsetzen einer neuen und weltweiten Informations- und Kommunikationsordnung (NOMIC, ein Projekt, das auch von der UNESCO vorangetrieben wurde). Die Kirche mit ihren Medien und ihren Kommunikationsleuten - vom Korrespondenten im hintersten Dorf bis zum CELAM (Bischofskonferenz Lateinamerikas, Red.) - haben auf diese Weise viele Impulse zur gesellschaftlichen Veränderung gegeben. Viele von den zur Zeit aktuellen Formen der Publikumsteilnahme an den Medien wurden im Dunstkreis der kirchlichen Medien entwickelt.
Das war auch eine Zeit vieler Kurse. Die erste enthusiastische Initiative in den verschiedenen Medien ermüdete, und es zeigte sich, dass es ernsthaftere Grundlagen für den Kommunikationsberuf braucht: die ehrenamtlichen Korrespondenten auf dem Land und in den Stadtvierteln sowie die sogenannten Professionellen, die zwar von der Hochschule kamen, aber keinen Kontakt zu den Leuten und ihrer Kommunikationsweise hatten. Die katholischen Organisationen für Kommunikation (UNDA, OCIC, UCLAP usw.) haben jahrelang sehr umfangreiche Ausbildungsprogramme auf kontinentaler Ebene durchgeführt. Selbst der CELAM hat lange einen viermonatigen Kurs veranstaltet, in dem sehr viele Kommunikatoren von (kirchlichen) Medien ihre Praxis theoretisch vertieft haben.
Das ist allerdings inzwischen größtenteils nur mehr eine Erinnerung an die gute alte Zeit. In den letzten 15 Jahren hat die Kursänderung in der Kirche dazu geführt, sich immer mehr auf die eigenen Positionen zurückzuziehen und die Macht unvermittelt zu beeinflussen. Die Gesellschaften Lateinamerikas haben sich auch verändert: Die Diktaturen haben sich aufgelöst, und die Demokratie braucht den Freiraum der Kirche nicht mehr. Der Ruf der Kirche selbst nach Demokratie ist ja etwas zweifelhaft, wenn es ernst wird.
Dazu kommt noch, dass die leitenden Organe der Kirche an einer demokratischen und kommunikativen Ausrichtung ihrer Medien oft wenig Interesse hatten - abgesehen von rühmlichen Ausnahmen. Mit zunehmender Professionalisierung der Laienmitarbeiter in vielen Medien kam es dann leicht zu Meinungsverschiedenheiten: Der padrecito (Priester, Red.) einer Radiostation setzt durch (auf Befehl des Bischofs, gelegentlich), welche Sendungen in welcher Form kommen "müssen" (etwa der Rosenkranz - eine berüchtigte Konfliktquelle). Diese Mischung von völlig unprofessioneller und willkürlicher Machtausübung mit professionell hochstehenden, aber machtlosen Laien hat im Kommunikationsbereich Lateinamerikas beachtliche Schwierigkeiten hervorgerufen: Auszug hervorragender Kommunikatoren aus dem kirchlichen Bereich - auch aus ihrem geistigen Horizont -; ein immer größer werdendes Desinteresse an dem, was die Kirche an Information vorschlägt; immer weniger Dialog der Kirche mit der Gesellschaft. Zu den meisten gesellschaftlich bedeutsamen Themen hat die Kirche offenbar nichts zu sagen, und die immer häufiger von der Kirche zentralistisch vorgegebenen Themen interessieren immer weniger. Es geht daher um die lebenswichtige Frage, wie denn die Kirche in der Gesellschaft gegenwärtig sein will. Die Sehnsucht nach größerem Einfluss ist allenthalben da. In der Frage nach dem "Wie" könnten die Hinweise der Bergpredigt vom "Salz der Erde" interessant sein.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 5/2004