01. Okt 2004
Wir beten, dass die älteren Menschen als wertvolle Hilfen für das spirituelle und menschliche Wachstum der Gesellschaft geschätzt und anerkannt werden.
Die Last der "Alten"
Unsere westeuropäische Gesellschaft altert schnell. Sie ergraut und vergreist zusehends. Schon in zwanzig Jahren soll sie nach vorsichtigen Schätzungen zur Hälfte aus älteren Menschen bestehen. Die veröffentlichte Meinung sieht diese Entwicklung durchgehend sehr negativ. Westeuropa hat bevölkerungspolitisch keine Zukunft, heißt es. Jetzt schon tickt eine "demographische Zeitbombe", die, wenn sie einmal explodiert, eine bevölkerungspolitische Katastrophe ist und eine demographische "Trümmerlandschaft" hinterlässt. Schon heute spricht man ungeniert von einer "Altlast" oder "Altenlast", die so nicht mehr auszuhalten ist. Man diskutiert über Altersgrenzen in der medizinischen Versorgung, und vielleicht müssen sich sehr alte und pflegebedürftige Menschen bald schon dafür entschuldigen, dass sie überhaupt noch leben und die Sozialkassen ungebührlich lange belasten. Sarkastisch wünscht man sich mancherorts ein "sozial verträgliches Frühableben" der Älteren herbei. In den Zeitungen und Zeitschriften tauchen Schlagzeilen wie: "Immer weniger Junge müssen für immer mehr Alte sorgen", "Alte konsumieren auf Kosten der Jungen", "Die Alten prassen und die Jungen darben". Nach Meinung vieler scheint sich ein Krieg zwischen den Generationen anzubahnen. Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der FAZ, stellt in seinem Buch "Das Methusalemkomplott" einen "Altersrassismus" in unserer Gesellschaft fest. Tatsächlich gibt es in unserer und in allen westlichen Gesellschaften einen naiven Jugendwahn, der einem und einer Sechzigjährigen kaum noch einen vernünftigen Beitrag zur Lösung gegenwärtiger Fragen und Probleme zutraut, geschweige denn innovative Ideen und schöpferische Phantasie für das Gelingen des Lebens in unserer Gesellschaft.
Die differenzierte Sicht der "Alten"
Dabei hat die Altersforschung schon lange darauf hingewiesen, dass es die "Alten" so gar nicht gibt. Die "Alten" als eine einheitliche Kennzeichnung für Menschen in einer fortgeschrittenen Lebensphase, die eventuell zwanzig bis vierzig Jahre dauern kann, wird ihrer Realität überhaupt nicht gerecht. In der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit unterscheiden sich die so genannten "Alten" ganz erheblich. Gerontologen sprechen deswegen heute lieber von einem "dritten" oder "vierten" Lebensalter. Entsprechend hat die Altersforschung die früheren Altersstereotypen wie Hinfälligkeit, Unbeweglichkeit, Stumpfheit, geistiges Desinteresse usw. als Trugbilder entlarvt. Sie fordert deswegen zu einer differenzierten Sicht der sogenannten "Alten" auf und weist auf das weithin ungenutzte "Kapital" hin, das die ältere Generation zum Nutzen aller in unsere Gesellschaft einbringen kann. Frank Schirrmacher und andere Kenner der Situation zeigen auf, dass eine Gesellschaft, die mehrheitlich aus sogenannten "Alten" besteht, "es sich nicht leisten kann, deren Potenzial, ihre Arbeits- und vor allem auch Schöpferkraft zu missachten und ungenutzt zu lassen. Von der gefährlichen und sinnlosen "Altersverschrottung' hat der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm schon in den achtziger Jahren gesprochen" (A. Foitzik).
Debatte über den Sinn des Alters
Darum aber geht es nicht allein. Es scheint für unsere Gesellschaft, in der von medizinischer Seite her das Leben immer weiter verlängert wird, wichtig zu sein, überhaupt eine grundsätzliche Debatte über den Sinn des Alterns und Altseins zu führen. Alt werden will offensichtlich jeder, aber auch alt sein? Wenn unsere Gesellschaft dieses Problem angeht, mögliche Antworten darauf findet und sie überzeugend und glaubwürdig vermittelt, wird auch das Verhältnis zwischen den Generationen spannungsfreier und lockerer werden. Die "Alten" brauchen dann nicht mehr krampfhaft und um jeden Preis "jung" zu sein und die Jungen können an den Alten sehen, wie das Alter, dem sich ja auch die meisten Jungen mit jedem Lebenstag nähern, sinnvoll gelebt werden kann. Außerdem entwickelte sich so ein gesellschaftlich-kulturelles Ambiente, in dem die sprichwörtliche Altersweisheit in der Diskussion um eine möglichst gelingende menschliche Lebensgestaltung ihren Platz fände. Es wäre schade, wenn das Lebenswissen, die Lebensführungskompetenz und vielleicht die Lebenskunst der Älteren, in vielen oft leidvollen Situationen erworben, im Dialog der Generationen verloren ginge.
Kirche und "Alte"
Die Kirche als "Communio - Ereignis" in der Geschichte scheint hier von ihrer Sendung her eine besondere Aufgabe zu haben. Frank Schirrmacher legt Wert darauf, dass die Kirche den selbst ernannten "Anti - Aging - Experten" nicht kampflos das Feld überlässt und fordert sie auf, hier ihre Chance wahrzunehmen. Nach dem Urteil einiger Kenner der Situation führt aber das Thema "Alter" als eigenständige Lebensphase in der Kirche eher ein Randdasein. "In der pastoralen Praxis gelten die Älteren und Alten oftmals noch als die unkomplizierte, pflegeleichte, und bedürfnislose Gruppe, die getrost etwas vernachlässigt werden kann - nicht zuletzt begründet in der mittlerweile wissenschaftlich widerlegten Annahme von einer quasinatürlichen Zuwendung der Älteren und Alten zu Glaube und Kirche. Umworben werden dagegen - weil zukunftsverheißend - Jugendliche, Familien, Akademiker, Eliten..., jedenfalls nicht die Alten, die ja ohnehin mittlerweile das Bild der Kirche dominieren. Und auch für kirchliche Amts- und Würdenträger steht die grau gewordene Kirche für Verlust und Niedergang" (A. Foitzik). Das, obwohl die Mehrzahl der kirchlichen Amts- und Würdenträger längst zur grau gewordenen Kirche gehört. So ist es wirklich an der Zeit, die Bedeutung der älteren Generation, ohne sie zu verklären, und vor allem ihre geistliche und menschliche Erfahrung für das Gelingen des gesamten Lebens in den Blick zu nehmen, zu würdigen und zu integrieren.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 5/2004