01. Dez 2004
Wir beten, dass die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus Modell für jedes glaubwürdige Bemühen um Inkulturation des Evangeliums sei.
Die Inkarnation Jesu Christi:
Modell für die Inkulturation des Evangeliums
Mit der Menschwerdung Jesu war es so: Als Maria noch nicht mit Josef zusammenlebte, zeigte sich... (Mt 1,18) Jesus lebte in einem unbedeutenden Dorf im Grenzland Galiläa, in allem den Seinen gleich. Als er seine Mission anfing und in Nazaret auftauchte, waren seine Landsleute eher verwundert: "Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns (Mk 6,3)? Allerdings, allein aus der schlichten Kenntnis und dem Zusammenleben mit seiner Familie haben seine Dorfgenossen, und später auch alle seine Jünger, nicht verstanden, was es wirklich mit Jesus auf sich hatte. Da war noch etwas Anderes, etwas Unbegreiflich-Eigenartiges, auf das es schließlich angekommen ist.
Zum Begriff der Inkulturation
Im engen Sprachgebrauch hat sich Jesus in Galiläa nicht wirklich inkulturiert. Bei ihm handelte es sich vielmehr um das Erlernen der eigenen Kultur, also um eine Enkulturation. Bei ihr lernen wir unsere Muttersprache, was man wie isst, wie man sich anderen Leuten gegenüber verhält, wie man sich selber in die Umgebung einfügt und benimmt. Die Inkulturation bezieht sich auf den Prozess, in dem sich je-mand einer anderen Kultur annähert, sie zu verstehen und sich in sie einzufügen versucht. So betrach-tet ergeben sich Probleme, wenn es darum geht, die Inkarnation Christi als Modell der Inkulturation darzustellen.
Der Ausgangspunkt steht allerdings fest: Mit dem Evangelium hat es etwas auf sich, das mit der Eigendynamik der Kulturen nicht zu erklären und auch nicht zu erwarten ist. Das Evangelium bringt, von außen kommend, jeder Kultur etwas Neues.
Eine lange geführte Diskussion bezieht sich darauf, ob es überhaupt so etwas wie ein "reines Evan-gelium" gibt, das dann sozusagen bei Null startet und von dort auf jede Kultur zugeht. Das wäre eine Frohbotschaft, die nicht in ein kulturelles Gewand gekleidet ist. Manche meinen, so ein Evangelium existiert, auch wenn sie es nicht benennen könnten. Für viele andere ist allerdings völlig klar, dass das Evangelium immer ein kulturelles Gewand trägt, auch sehr zu seinem Schaden. Diese Schattenseiten einer kulturell geprägten Frohbotschaft haben die Völker Amerikas, Afrikas und Asiens in der langen Kolonialgeschichte sehr ausführlich kennengelernt, aber wahrscheinlich auch Europa, geht man nur weit genug zurück in der Geschichte (was hat etwa Weihnachten mit der Frohbotschaft zu tun?). Diese negativen Seiten der Evangelisierung entstammen der Meinung, dass die europäische Zivilisation und Kultur das Maß des Evangeliums sei. Dass wir dabei nicht von einer tristen Verirrung kolonialer Missi-onsgeschichte reden, könnte man an der letzten Äußerung Roms zur Liturgie nachweisen, in der wieder einmal Verständnisformen eines minimalen Kulturkreises als universale Anweisungen ausgegeben werden.
Kulturdynamik
Das Evangelium begegnet also einer Kultur meistens in einer schon gegebenen kulturellen Form. Das ist nicht unbedingt ein Nachteil, denn damit wird die immer neue Verständnisweise des Evangeliums in der sich immer verändernden Kultur zu einer möglicherweise interessanten Kritik an jeder Kultur - etwas, das immer wieder sehr betont und vom Evangelium an sich erwartet wird. Es ist wichtig, Kulturen nie als etwas Statisches zu betrachten, sondern bei ihnen immer mit sehr vielfältigen und komplexen Veränderungsprozessen zu rechnen. Die Leute, die zu einer Kultur gehören, sind dabei die Hauptakteure. Kultur ist ja schließlich, "wie man hier die Sachen macht", und das bestimmen immer diejenigen, die einer bestimmten Kultur angehören. Von außerhalb einer Kultur kann letztlich wenig getan werden, was zu ernsthaften Veränderungen führt, ob das die Weise des Balletttanzens in Wien betrifft oder den Würstelstand nach dem Kulturgenuss des Balletts - die Veränderungen müssten vom komplexen Zusammenspiel des Wiener Staatsopernballetts und seines Publikums oder der Vorliebe, wieder der Wiener, für MacDonalds kommen.
Mit dem Evangelium ist es grundsätzlich nicht anders: Wenn ein Volk zur Überzeugung kommt, dass Werte des Evangeliums besser sind als die angestammten, wird dieses Volk seine Kultur entsprechend verändern. Was darüber hinausgeht, kann man versuchen durchzusetzen und anzupreisen, aber der Erfolg ist damit nicht gesichert. Das sieht man beispielsweise am häufigen Widerstand gegen die kirchliche Ehe bei Afroamerikanern oder an der erst dann vollzogenen Eheschließung bei Indios, wenn das Paar bewiesen hat, dass es Nachkommenschaft haben kann.
Grenzen missionarischer Erfolgslogik
In der guten alten Zeit meinten die Missionare, ihre Aufgabe bestünde nicht nur darin, den Heiden das Evangelium, sondern auch die Zivilisation zu vermitteln. Dass das ein Irrtum war, gibt man heute leicht zu. Das Evangelium besteht dann nicht mehr darin, dass die Indios im Urwald irgendwie bekleidet vor die Kamera treten oder alle Völker das amerikanische Demokratieideal als den höchsten Zivilisations-stand freiwillig und vollständig übernehmen (vielleicht gar nicht so ideal, wenn man an Bush denkt). Im Kontext kolonialer Rückendeckung war es für die Mission relativ einfach, manche Vorstellung des Evangeliums in europäischer Kleidung und Zivilisation durchzusetzen. Aber diese Zeiten sind - Gott sei Dank - eindeutig vorbei.
Jetzt stellt sich die Frage - von manchen "gescheiterten" Missionaren nach dem Beispiel von Char-les de Foucauld schon lange demonstriert -, wie denn die Werte des Evangeliums so vorgelebt werden können, dass sie ein Volk zur Veränderung ihrer Kultur bewegen können. Einige Kleine Schwestern bei den Tapirapé in Brasilien haben so etwas zustande gebracht: Ihr Zusammenleben ohne jedes Predigen und Bekehren, aber mit dem täglichen Zeugnis, dass das Leben lebenswert ist, hat es geschafft, dass dieses Volk wieder Nachwuchs und Zukunft hat. Und in ähnlicher Weise haben das viele Schwestern und Brüder in der Mission auf der ganzen Welt getan.
Damit kommt unsere Überlegung wieder auf Jesus zurück: In seiner Lebensweise hat es etwas ge-geben - schon in der Gebetsmeinung für November Gegenstand der Meditation -, das ihn dazu geführt hat, sein marginales Judentum doch deutlich zu verändern. Seine persönliche Heiligkeit war diese spe-zielle Beziehung zu seinem Abba, die ihn für seine Zeitgenossen, für die Jünger unbegreiflich und für die Gesetzestreuen, die ihn schließlich ans Kreuz gebracht haben, völlig untragbar gemacht hat.
So wie er seinerzeit aus seiner Beziehung zu Gott die Welt veränderte, sind auch die Christen aufge-rufen, sich in ihrer eigenen Kultur immer wieder vom Evangelium in Frage stellen und verändern zu lassen. Vielleicht wird es auf diese Weise möglich, dass viele Völker ihre Kulturen so verändern, dass viele von ihnen auf ihre jeweilige eigene Weise die Ideale des Gottesreiches verwirklichen. Dann ginge es nicht mehr um die Inkulturation eines schon fertigen Evangeliums im Gewand einer Lokalkultur mit Universalitätsanspruch, sondern um eine geistgewirkte Vielfalt christlichen Lebens. Ein Versprechen der weihnachtlichen Inkarnation, das allerdings erst zu Pfingsten eingelöst wird.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 6/2004