01. Dez 2005
Wir beten für alle Menschen: Gib ihnen eine große Achtung vor der Würde von Mann und Frau, die der Schöpfer ihnen geschenkt hat.
In der Sicht der abrahamitischen Religionen ist der Mensch Geschöpf Gottes. Er ist nach biblischer Auskunft als ein Abbild Gottes geschaffen oder, wie Norbert Lohfink meint, als "Statue Gottes". Genesis 1,27 lautet dann in seiner Übersetzung: "Gott erschuf den Menschen als seine Statue. Als Gottesstatue erschuf er ihn." Das bedeutet, dass er sein Da- und Sosein von Gott herleiten darf. Der Mensch darf sich über das stofflich materielle Vorhandensein hinaus als Individuum verstehen, das zu Beziehungen fähig ist und damit fähig, seine eigenen Grenzen zu überschreiten. Er ist also Person. Als solche kommt ihm eine ganz spezielle Wertigkeit und Würde zu, die die Würde anderer Geschöpfe übertrifft.
Nun ist der Mensch nie abstrakt vorhanden, sondern immer in einer konkreten Realisation. Deswegen sagt der biblische Text die erste Aussage weiterführend: "Männlich und weiblich schuf er sie"... die Gottesstatue. Und damit betont dieser Text, dass der Gottesstatue Mensch in ihrer männlichen und weiblichen Wirklichkeitsform die oben genannte spezielle gleiche Wertigkeit und Würde zukommt.
So klar und deutlich sich diese Aussage ausnimmt, so ist sie doch noch lange nicht in der von den abrahamitischen Religionen beeinflussten und durchformten kulturellen und sozialen Wirklichkeit der entsprechenden Völker eingelöst. Immer wieder wird die Würde vieler Männer und vor allem Frauen von denen, die über sie Macht ausüben, geschändet. Ich erinnere hier nur - stellvertretend für die vielen Menschenrechtsverletzungen im vergangenen Jahrhundert und in unserer Gegenwart - an die Exzesse in den Konzentrationslagern der totalitären politischen Systeme, an die Gräuel im Jugoslawienkrieg, im Irak und an die als Strafmaßnahmen an "renitenten" Frauen vollzogenen Gruppenvergewaltigungen in Pakistan, von denen die 33-jährige Frau Mukhtar Mai aus eigener Erfahrung berichtet (Siehe: "Christ in der Gegenwart" Nr. 33/2005, S. 265). Darüber hinaus gilt auch für unsere Breiten gerade in Bezug auf die Würde der Frauen, was Theresia Hauser schreibt: "Zwar ist den Frauen in unseren Breiten aufgrund von Ausbildung und vermehrter wirtschaftlicher Unabhängigkeit ein höheres Maß an Freiheit und Gleichberechtigung möglich, doch hindert das nicht, dass ihnen noch immer die Lebenslasten wie Hausarbeit, Kindererziehung, die Pflege hilfsbedürftiger, behinderter und alter Familienangehöriger nahezu allein aufgebürdet ist. Diese soziale Ungleichheit der Geschlechter hat viele Wurzeln; sie gründet nicht zuletzt darin, dass unserer Zivilisation zufolge die Frau ihre Selbstbestätigung vor allem in Ehe und Familie fand, während sie der Mann in der Regel in äußeren Leistungen sucht." Dazu ist aufgrund eines exzessiven Jugend- und Jugendlichkeitswahns in unserer Gesellschaft besonders die Achtung vor der Würde der älteren Frauen und Männer gefährdet. Wenn hier einige Autoren häufig von einer "Altlast" oder "Altenlast" sprechen und über die Altersgrenzen in der medizinischen Versorgung aus finanziellen Gründen diskutieren, ist das "sozial verträgliche Frühableben" der Älteren und Alten vorprogrammiert und bald sicher auch durchsetzbar.
Das sind Gründe, sich die Problematik, die hinter dem obigen Gebetsanliegen steckt, immer wieder bewusst zu machen und diese Problematik vor Gott zu tragen. In dem Gebetsanliegen selbst geht es auch darum, das Verständnis der Würde von Mann und Frau gemäß dem Plan Gottes zu vertiefen. Dazu dienen sicher auch einige Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils: Jeder Mensch ist trotz der moralischen Zwiespältigkeit seiner Beschaffenheit als ein unaustauschbar zu wertendes Wesen zu verstehen (GS 11). Jedes Individuum hat das Recht auf menschenwürdiges Leben und Sterben. Menschenunwürdige soziale Zustände sind zu bekämpfen (GS 20). Die Würde des menschlichen Schaffens liegt in der Weiterentwicklung des Werkes Gottes und im Beitrag zu seinem Schöpfungsplan (GS 34). Diese und noch eine ganze Reihe anderer Aussagen und die aus ihnen abgeleiteten Folgerungen warten noch auf eine situationsgerechte Realisation, auch im Raum der Kirche.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "Die Anregung" Ausgabe 6/2005