01. Jan 2006
Wir beten, dass die Christen in den Flüchtlingen und Vertriebenen Gottes Ebenbild erkennen und jeden Menschen mit Liebe und Respekt begegnen.
Darf ich diese Thematik an einigen Beispielen illustrieren? Um die Jahrtausendwende vermehrten sich in Deutschland die Fälle, wo katholische und evangelische Gemeinden von der Abschiebung in die Heimat bedrohte Migranten aufnahmen - gegen die staatlichen Bestimmungen. So wurde das "Kirchenasyl" zum geflügelten Wort und Symbol des eigenwillig eingeschlagenen Weges überzeugter Christen. Die Allgemeinheit wurde mehr und mehr sensibilisiert und mobilisiert gegenüber Härtefällen in der Migrantenszene. Viel Not konnte behoben oder gemildert werden, weil die staatlichen Organe - von dem Gewicht der öffentlichen Meinung abgehalten - es nicht wagten, ihre Bestimmungen rücksichtslos durchzusetzen. Christen erwiesen sich als Träger von Humanität.
Im Jahr 2004 fielen, von der Zentralregierung im Sudan heimlich ermuntert, weiß-arabische Milizen in die Dörfer der negriden moslemischen Stämme des Westsudans (Darfours) ein und begannen rücksichtslos einen veritablen Genozid. Neben dem Tode von ca. 300.000 Moslembrüdern hatte dieser Gewaltakt die Flucht von nahezu zwei Millionen Sudanesen ins Ausland, vor allem in den Tschad, zur Folge. Der Tschad, doppelt so groß wie die Bundesrepublik, hat nur fünf Millionen Einwohner, darunter aber immerhin ca. zwanzig Prozent Christen. Die Medien, die über die Darfour-Tragödie berichten, vergessen meist, darauf hinzuweisen, dass diese riesigen Mengen von Flüchtlingen fast problemlos im Nachbarland Aufnahme finden, nun schon weit über ein Jahr. Grund für diese überraschende Hilfsbereitschaft ist zwar auch die Tatsache, das die Osttschader ethnisch, sprachlich und religiös mit den Westsudanesen verwandt sind, sicher aber auch, dass jeder Fünfte in diesem Land mit der Taufe die weltumfassenden humanitären Ideen des christlichen Glaubens aufgenommen hat. Von ihrer Religion her der ganzen Welt offen und über allem engen Nationalismus stehend, sind sie es auch, mit denen die internationalen Hilfsorganisationen - mit Billigung der Regierung - in bewundernswerter Kooperation größere Katastrophen vermeiden helfen konnten.
Als in den 80er-Jahren Hunderte von "boat people" aus Vietnam flohen und an den Küsten der südwestjapanischen Inseln ankamen, waren die japanischen Behörden ratlos und verzögerten oft positive Hilfsmaßnahmen mangels bürokratischer Anweisungen und Reglements. Dazu kam auch noch die allgemeine abschätzige Beurteilung der Festlandasiaten. Auch seit Jahren und Jahrzehnten im Land lebende Chinesen und Koreaner leben immer noch im Ausländerstatus. In dieser allgemeinen Verlegenheit - man wollte auf der internationalen Bühne nicht als inhuman auffallen - überraschte das Engagement der winzigen (0,4 Prozent) katholischen Minorität. Großzügig und schnell nahm sie die Immigranten in ihre Kirchen und Schulen auf und sorgte für unbürokratische Überbrückungsmaßnahmen. Auch wir Steyler nahmen die illegalen Einwanderer auf; auf dem Agrargelände unseres "Klosters" in Tajimi bei Nagoya fanden für über ein Jahr ca. dreißig Vietnamesen Unterkunft. Der Staat lernte von der Kirche Humanität, und die "Caritas Japan" hatte ihre großen Tage.
In den 90er-Jahren kamen über 100.000 japanstämmige Brasilianer wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Zustände in ihrer neuen Heimat in die Industriezentren des Landes ihrer Väter und Großväter. So überfluteten auch ca. l.500 Brasilianer meine Arbeiterpfarrei Anjo bei Toyota. Die große Mehrheit war katholisch getauft. Nur wenige aber sprachen und verstanden Japanisch. In ihrem Benehmen verhielten sie sich ganz brasilianisch: munter, direkt, herzlich zueinander, informell, vital. Japanisch waren nur mehr ihre Namen. Dazu waren auch ca. 500 Filipinos in mein Pfarrgebiet eingewandert. Nun achtete der japanische Weltklerus unserer Diözese streng darauf, dass sich die Immigranten ganz an die japanischen liturgischen Gepflogenheiten halten und sie nur japanische, noch unbekannte Gebete und Lieder gebrauchen sollten. Als 60-jähriger Nanzan-Professor konnte ich es mir herausnehmen, hier eigene, "katholische" Reaktionen zu entwickeln. Ich ging daran, mir ein Minimum portugiesischer Sprachkenntnisse anzueignen und hielt an den Sonntag-Nachmittagen brasilianische Gottesdienste. Die großen Feste feierten wir gemeinsam in der Halle, an die eine Küche angeschlossen war. Jeden 3. Sonntag im Monat organisierten wir dreisprachige Eucharistiefeiern mit Beteiligung der drei Volksgruppen auf Japanisch, Portugiesisch und Englisch (manchmal begleitet von Tagalog, wenn einer unserer Filipinos mitwirkte). Die Kirche war natürlich so voll, dass sich die Mitfeiernden mit Plätzen in der Halle zufrieden geben mussten. Das Ganze gelang über Erwarten gut, weil meine Leute dort hinter mir standen, und unser Vorbild strahlte auf die übrige Diözese aus. Ich als Deutscher und die italienische Pfarrschwester rundeten die Katholizität, den menschheitsumfassenden Charakter unserer Kommunität, ab. Viele der Brasilianer, die an sich nur auf drei Jahre ins "preußische" Japan kommen und das Geld für den Beginn eines eigenen Geschäftes in Brasilien verdienen wollten, blieben auf unbestimmte Zeit im Land: Sie fühlten sich in unserer Gemeinde wohl und pflegten bei uns miteinander und mit den Alt-Japanern brüderlich-schwesterliche Kontakte, auch außerhalb der Gottesdienste.
Worum wir Katholiken also beten sollten: Die Christen in den überwiegend noch nichtchristlichen Ländern mögen den Mut haben, die geistigen Fesseln eines stolzen, nationalistischen Denkens in ihrem Land abzuwerfen und alle Antipathien rassischer, ethnischer und religiöser Provenienz durch ihr eigenes Handeln und durch ihre Öffentlichkeitsarbeit überwinden zu helfen. Sie sollen mit ihrem einmaligen christlichen Know-how ihrer Landsleute ihre nationale Enge und bürokratisch-juristische Unbeholfenheit überwinden helfen und durch die "Pax Christi" echte und heilende Globalität schaffen.
aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 1/2006, Steyler Verlag, Nettetal