01. Mai 2006
Wir beten, dass der Heilige Geist allen Menschen Mut schenke, sich für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt einzusetzen.
Ein Gleichnis
Der Dichter Bert Brecht hat folgendes Gleichnis verfasst: "Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte, dass noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief ihnen zu, dass Feuer im Dach sei, sie also auffordernd, schnell hinauszugehen. Aber die Leute hatten es nicht eilig. Einer fragte mich, während ihm schon die Hitze die Brauen versengte, wie es draußen denn so sei, ob es auch nicht regne, ob nicht doch Wind gehe, ob da ein anderes Haus für sie sei und noch so einiges. Ohne zu antworten ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich, müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören. Wirklich Freunde, wem der Boden noch nicht so heiß ist, dass er ihn lieber mit jedem anderen vertauschte, als dass er bliebe, dem habe ich nichts mehr zu sagen."
Unsere menschliche Lebenswirklichkeit
Diejenigen, die unsere Lebenswirklichkeit sehen, wie sie ist, haben es schwer. Niemand will ihnen glauben, dass sie richtig sehen. Niemand will das, was sie sehen, hören. Die Seher, die Propheten, die Weisen sind unbequeme Menschen. Sie sehen und ziehen aus dem, was sie sehen, Konsequenzen. Die aber sind nicht gefragt. Es ist so einfach, vor sich hin zu leben und mit dem zufrieden zu sein, wie man halt so lebt. Es ist so einfach, alle Sehnsucht nach einem wahreren, richtigeren und erfüllteren Leben aufzugeben, danach nicht mehr zu suchen und zu fragen und sich mit dem Leben, wie es ist, abzufinden. Es ist so einfach, sich dem Bedürfnis nach Ruhe, nach Bequemlichkeit, nach Sicherheit und einer vom Eigennutz her verstandenen "Ordnung" hinzugeben. Den jeweils erreichten "Status Quo" möchte man unbedingt erhalten. Und das alles ist so menschlich...
Die menschliche Lebenswirklichkeit im Sinne Jesu
Ist das alles wirklich so menschlich? Jesus ist da anderer Meinung. Für ihn beginnt das wahre Menschsein da, wo der Mensch sich auf die Suche nach dem Sinn des Ganzen macht, da, wo er die Frage nach Gott wach hält, wo er ihn sucht. Für ihn fängt der Mensch da an, Mensch zu sein, wo er etwas von dem lebt, was Gott ist, nämlich Liebe. Für ihn fängt das Menschsein da an, wo einer hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, nach Offenheit, nach Verständnis, nach Erbarmen, nach Frieden, nach der neuen Welt Gottes, die er Sein Reich nennt. Er meint, dass das Haus des menschlichen Lebens, das der Mensch nur aus sich selbst heraus als Ich-Agentur zusammenzimmert, das keinen Platz hat für Gerechtigkeit, für Frieden und die sich daraus ergebenden Werte, brennt und verbrennt unter seiner eigenen Zukunfts- und Hoffnungslosigkeit. Jesus sieht das sehr deutlich, sagt es, lebt daraus mit aller Konsequenz und stirbt deswegen am Kreuz, weil so wenige diese Botschaft verstehen und verstehen wollen.
Der Geist Jesu, der Heilige Geist, und die menschliche Lebenswirklichkeit
Aber Jesus setzt seine Hoffnung auf diejenigen, die sich von ihm in diese Wirklichkeit einweisen lassen und etwas davon zu verstehen beginnen, auf seine Jüngerinnen und Jünger also, und auf diejenigen, die später seine Gemeinden und seine Kirche bilden. Er nimmt sie in seinen Dienst und sendet sie: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." Er spricht ihnen seinen Geist zu, den Heiligen Geist. In ihm dürfen sie sein Wort fortsprechen und sein Werk fortsetzen. Der Heilige Geist treibt sie in die Welt. Sie dürfen die Welt mit seinem Wort und Werk konfrontieren und sie aufreißen auf ihre künftige Gestalt hin. Sie dürfen dazu beitragen, die Welt aus ihrer Ego- und Selbstverfallenheit mit ihren ungerechten und zerstörerischen Tendenzen zu befreien und sie ihrer künftigen Gestalt in Gerechtigkeit und Frieden entgegenzuführen. Sie laden ein, um im Bild des obigen Gleichnisses zu bleiben, aus dem brennenden Haus dieser Welt, so wie sie ist, auszuwandern und sich im wahren Haus der neuen Welt Gottes anzusiedeln. Ohne Bild: Ihr Dienst an dieser Welt besteht darin, sich vom Geist Jesu, vom Heiligen Geist, erfüllen zu lassen, aus ihm zu leben, die Geistwirklichkeit in dieser Welt zu beheimaten und die Welt dadurch zum Ort der Gerechtigkeit und des Friedens werden zu lassen. Jesus meint nicht, dass es sinnlos sei, wie es Brecht andeutet, aus dieser Geistwirklichkeit zu leben, sie zu bezeugen und ihr in dieser Welt Raum zu geben. Freilich sind die Jesusanhängerinnen und Jesusanhänger, die Christinnen und Christen also, immer in der Gefahr, dass ihnen in diesem Prozess der Atem ausgeht. Das wissen sie nur zu gut. Deswegen bitten sie im oben genannten Sinn, dass der Heilige Geist sie und alle Menschen ermutige, sich für die Welt der Gerechtigkeit und des Friedens einzusetzen.
Franz-Josef Janicki SVD, Kommentar zur Allgemeinen Gebetsmeinung Mai 2006 aus der Zeitschrift "Die Anregung", Ausgabe 3/2006, Steyler Verlag, Nettetal