Gebetsanliegen des Hl. Vaters im August 2010

August 2010

Wir beten für alle Menschen, die in großer Not leben - oft ohne Arbeit und ohne Obdach, dass sie Verständnis und Annahme erfahren und konkrete Hilfe in ihrer schwierigen Lage finden.

Wenn ich diese Gebetsmeinung in unserem Land lese, zucke ich gleich bei den ersten Worten ein wenig zusammen. Arbeitslose werden hier mit Obdachlosen in einer Reihe genannt. Gott sei Dank bedeutet in unserem Land arbeitslos zu sein noch lange nicht, obdachlos zu werden.

Arbeitslos in Deutschland
Wer arbeitslos wird, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld und auf Wohngeld, selbst wenn die Arbeitslosenversicherung nicht (mehr) einspringt. Dann sorgt der Staat für seine bedürftigen Bürger, durch das Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt, in dem Arbeitslosengeld und Sozialhilfe kombiniert ist. Denn Deutschland rühmt sich, ein Sozialstaat zu sein.

Gewiss ist diese Hartz IV-Unterstützung nicht gerade üppig, sie soll nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich das „soziokulturelle Existenzminimum" garantieren. Und das heißt für manche alleinerziehenden Mütter, für kinderreiche Familien usw. oft wirkliche Armut.

Eine ähnliche staatliche Sorge für die Arbeitslosen haben wir in allen Ländern der Europäischen Union. Anders sieht es bereits in den vom Kapitalismus bestimmten Vereinigten Staaten aus. Hier beziehen nur 42 % aller Arbeitslosen Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung, bei den unteren Einkommen noch viel weniger.

Doch es gibt Staaten, in denen mehr als 70 % der jungen Leute arbeitslos sind. Da gibt es keine Versicherung, die zahlt, keinen Staat, der diese Menschen unterstützen könnte. Hier bedeutet Arbeitslosigkeit wirkliches Elend. Wundem wir uns, wenn einige von ihnen mit allen Mitteln in das Gelobte Land Europa zu kommen suchen und dafür jedes Risiko in Kauf nehmen?

Die unter der Brücke schlafen
Hier kommen wir auf die andere Gruppe von Menschen in Not zu sprechen, die die Gebetsmeinung nennt: auf die Obdachlosen. Gewiss, es gibt Obdachlose, denen das freie Leben gefällt, wenn sie (Männlein und Weiblein) unter den Brücken sitzen und die Flasche rundgehen lassen. Solche Obdachlose möchten auch nicht in städtischen oder kirchlichen Obdachlosenheimen übernachten, weil sie die minimalen Regeln dort (z.B.: kein Alkohol) nicht akzeptieren möchten. - Doch auch diese Menschen sind natürlich in großer Not, auch wenn sie das selbst nicht erkennen. Und weit zahlreicher als diese freiwilligen Obdachlosen sind die unfreiwilligen, die es geworden sind, weil sie die Arbeit verloren haben, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten, weil ihre Ehe in die Brüche ging, oder weil sie aus einem Heim oder Gefängnis entlassen wurden.
Dabei hat Deutschland noch eine großzügige staatliche Obdachlosenhilfe, und auch die Kirchen setzen sich hier ein mit Wärmestuben, Mahlzeiten, Übernachtungsmöglichkeiten und kostenloser Krankenbehandlung.

Jeden Morgen fand man Tote
In anderen Ländern ist das anders, und zwar nicht nur in Dritte-Welt-Ländern, sondern auch z.B. in einem reichen Land wie Japan. Ich möchte einmal schildern, wie wir von der Steyler Pfarrei in Tokio uns um die Obdachlosen kümmerten. An einem Abend in der Woche fuhren wir zu einem Stadtteil, wo viele Obdachlose leben. Dort wohnten drei Brüder aus dem Orden von Mutter Teresa (Brothers of Charity). In deren Wohnung kneteten wir die Reisbällchen, die in Japan ein Grundnahrungsmittel sind. Um Mitternacht begannen wir unseren Rundgang durch das Viertel. Überall lagen die Obdachlosen auf dem eiskalten Boden des Bürgersteigs. Es war Winter bei frostigen Temperaturen. Wer es gut hatte, deckte eine Zeitung über sich oder ein Stück Pappe. Fast jede Nacht gab es Erfrorene zu beklagen.

Wir gingen zu jedem der Obdachlosen hin und gaben ihm zwei Reisbällchen für sein Frühstück, dazu eine Wolldecke, die er später zurückgeben sollte. So elend diese zerlumpten Männer waren, sie bedankten sich mit großer japanischer Höflichkeit.

Ein Fest für die Ausgegrenzten
„Verständnis und Annahme" (Gebetsmeinung), das ist es, was Obdachlose und andere marginalisierte Existenzen zuerst brauchen, noch vor jeder materiellen Hilfe. In der Münchner Pfarrei, in der ich tätig war, lebte eine Frau, die ein Händchen für die Arbeit mit Obdachlosen hatte. Sie kannte die meisten persönlich. Einmal im Jahr lud sie im Namen der Pfarrei die Obdachlosen ein und bereitete ihnen ein großes Fest. Es gab ein festliches Essen, es gab Wein und Musik. Der große Pfarrsaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Jene Frau und der Pfarrer gingen umher, begrüßten jeden und jede und nahmen sich Zeit für ein Gespräch. Dann gab es Geschenke, z. B. warme Kleidung.

Ich denke, dieses gemeinsame Mahl mit den Randexistenzen der Gesellschaft ist genau das, was Jesus getan hat. Er hat keine Berührungsängste gehabt, hat nicht gefürchtet, dadurch selber unrein zu werden. „Verständnis und Annahme" - das war Jesus wichtig, das muss auch für uns, seine Jünger, wichtig sein, denn das Unverständnis und Vorurteil der „guten Bürger" ist es, worunter jene Menschen vielleicht am meisten leiden.

Karl Neumann SVD in die Anregung 4/ 2010

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