Oktober 2012
„Gott, unser Vater, wir bitten dich für die christlichen Länder, damit sie sich im Glauben erneuern, in der Treue zum Evangelium wachsen und daraus leben.“
Das sollte man nicht unterschätzen: `Erneuerung im Glauben und Wachstum in Treue zum Evangelium!´ - Gute Sache, der man nur zustimmen kann. Obwohl ich die Erneuerung und das Wachstum in Treue nicht auf die christlichen „Länder“ beschränken, sondern erweitern würde auf die gesamte Christenheit.
Zugegeben, die frohe Botschaft ist innerhalb der christlichen Gemeinde entstanden, ist zwar, wenn man so will, ein Produkt der Kirche, aber immer und zu allen Zeiten auch deren Korrektiv, Maßstab der Besinnung und Umkehr und damit: der Erneuerung.
2000 Jahre Kirche im Auf und Ab der Zeit, von Krisen und Blütezeiten erschüttert und getragen. Verheerend wirkte sich die konstantinische Wende aus, bei der die christliche Gemeinschaft funktionalisiert wurde, um die Einheit des Reiches zu wahren. Dabei blieb die Einsicht auf der Strecke, dass die Armen die Auserwählten und Geliebten Gottes sind, (vgl. Jak 2,5; Mt 5,3.6.10.20; 6,33; 21,32; 23,23; 25,31-46; Lk 1,52; 11,42; 16,19-26; Joh 16,8; Apg 13,10; 2Kor 9,9 u.a.) auf der Strecke; Gemeindeleiter wurden zu Staatsbeamten und staatlichen Würdenträgern (dagegen sprechen: Mt 20,25f; 23,5; Mk 10,42ff; Lk 1,52).
Bei seiner Betrachtung über Apg 9,4 („Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“) bemerkt der heilige Augustinus, „dass der auferstandene Christus nicht sagt: Warum verfolgst du meine Jünger? sondern: Warum verfolgst du mich? Eine solche Identifikation Christi mit den Armen, den Ausgestoßenen und den Verfolgten bedeutet für Augustinus die Anerkennung ihrer menschlichen Würde. „Sei Christus in seiner Armut treu“ meint das Gleiche wie „Sei deinem Nächsten in seiner Armut treu“. *)
Die christliche Glaubensgemeinschaft büßte ihre einfachen, schlichten Strukturen ein. Sie übernahm das Menschenbild und die gesellschaftlichen Strukturen der Antike, verriet aber gleichzeitig ihre „zutiefst christliche Einsicht, dass alle Menschen, Männer u n d Frauen, in Seiner Nachfolge gleichberechtigt und als gleichwertige Menschen miteinander als Geschwister leben sollten“. **) Dies wird vor allem deutlich an der Selbstverständlichkeit mit der Jesus den Frauen in aller Öffentlichkeit begegnet (vgl. Joh 4,4-42) und sie als Jüngerinnen in seinem Gefolge akzeptierte (vgl. Mt 27,55; Mk 15,41; Lk 8,1-3; 23,49), was in der damaligen Zeit ein Skandal war.
Ist es nicht im Grunde ein Skandal und inakzeptabel, dass in der allgemeinen Einführung zum Messbuch (Ausgabe 1978) unter Nr. 70 folgendes zu lesen steht: „… Dienste, die außerhalb des Altarraumes zu leisten sind, können auch Frauen übertragen werden … Die Bischofskonferenz kann die Erlaubnis geben, dass Frauen die … Lesungen und die einzelnen Bitten des Fürbittgebetes vortragen …“, muss aber dazu noch einen passenden Ort im Kirchenraum bestimmen, von wo aus das möglich ist? Gott sei Dank spielt das heute – soweit ich das übersehen kann – keine Rolle mehr. Dennoch: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass den Autoren solcher Texte die Botschaft des Evangeliums vollkommen unbekannt und fremd oder als Text aus einer weit entfernten Zukunft erscheinen muss. –
Wie viele andere aktuellere Beispiele gäbe es aufzuzeigen, wo wir als christliche Gemeinschaft der Erneuerung bedürfen! Ist es nicht höchste Zeit für eine Inventur? Müssen wir als Glaubensgemeinschaft den Staub von Jahrhunderten immer mitschleppen? Hat nicht Jesus versprochen, dass sein Joch leicht sein würde (Mt 11,28-30)? Hat Jesus nicht ganz bewusst zwischen Gottes- und Menschengeboten unterschieden (Mk 7,1-23)? Der hl. Augustinus fasste sich recht kurz und stellte fest: „Liebe und dann tue, was du willst.“ ***)
Die Lösung liegt also nicht in religiösen Großveranstaltungen oder einem „von oben“ verordneten Dialog. Viel interessanter wäre es, einen evangelischen, einen schriftgemäßen Dialog „von unten“, also den Dialog von der Gemeinde her und auf „Augenhöhe“ zu suchen (Mt 11,25; Mk 7,31-37; ****) Lk 10,21; 1Kor 1,17.19). -
Papst Benedikt spürt, dass wir Christen einer Erneuerung auf ganzer Ebene und in allen Schichten der Glaubensgemeinschaft bedürfen. Die Erkenntnis, dass dies nur anhand der Schrift möglich ist, ist nicht neu; lässt aber hoffen!
Begeben wir uns also vertrauensvoll unter die Fittiche des Heiligen Geistes und vertiefen wir uns in die Lektüre der heiligen Schrift und ins Gebet – und nehmen wir dabei die Menschen von heute und ihre Lebenswelt wahr und ernst. Nur dann, so meine ich, kann es wirkliche Erneuerung geben!
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*) gefunden im Internet unter: `Der Primat der Liebe - Liebe und wirkliche Glückseligkeit Ein Text von Tarsicius Jan van Bavel´ (Bitte mit komplettem Text „googeln“.)
**) Gertrud Schiemann in einer privaten e-mail
***) lat.: "dilige et quod vis fac.", In epistulam Ioannis ad Parthos, tractatus VII, 8
****) Hier sind es z.B. die einfachen Leute, die die Frohe Botschaft, das Evangelium, verkünden, und nicht die Jünger!