Gebetsmeinung des Papstes im Juni

Juni 2023

Wir beten für alle gefolterten Menschen, Kinder und Erwachsene, dass sie Befreiung und Hilfe in ihren Leiden erfahren.

Folter? Das machen nur die “Bösen”, diejenigen, die Spaß am Quälen haben, die die Menschenrechte ignorieren, Diktatoren, Mafiosi, Warlords und ihre Handlanger.

Und dann kam 2013, und nicht wenige in Deutschland sahen das plötzlich anders. Darf man mit Folter drohen für ein gutes Ziel, nämlich um ein Kind zu retten? Eine heftige Debatte brach aus, und auf einmal stand die Frage im Raum, ob Folter wirklich immer schlecht ist.

Was war passiert? Ein Student, der einen Jungen entführt hatte, wurde von der Polizei verhört. Der Polizist wollte unbedingt das Leben des Kindes retten, und daher drohte er dem Entführer mit Folter. Daraufhin offenbarte der Täter den Ort, wo der Junge war. Aber es war schon zu spät, der Junge war bereits tot. Nachdem nun dieser Student wegen Menschenraub, Erpressung und Mord verurteilt worden war – die Beweise waren eindeutig – klagte er. Man hätte ihm niemals mit Folter drohen dürfen, so argumentierte der Mörder. Seine Menschenrechte seien verletzt worden. Und tatsächlich, er bekam Recht, und das Land Hessen musste ihm 3000 Euro zahlen, die er behalten durfte. Auch der Polizist wurde verurteilt.

Was für eine Geschichte. Und sie ist wahr, was alles noch absurder macht. Bei uns löste es eine heftige Debatte aus: Ist es vielleicht in besonderen Ausnahmen doch vertretbar, mit Folter zu drohen? Hätte der Entführer den Ort des entführten Jungen ohne die Androhung von Folter überhaupt verraten? Hätte man das Kind vielleicht doch retten können, wenn schon früher mit Folter gedroht worden wäre? Oder haben die Gerichte Recht, und Folter ist niemals zulässig?

1984 wurde die Uno-Antifolterkonvention verabschiedet. Dennoch wird heute noch in 141 Ländern gefoltert. Warum? Was bringt einen Menschen dazu, einen anderen Menschen zu foltern, zu quälen, dessen Qualen zu sehen und zu hören? Warum foltern Menschen Menschen seelisch, psychisch oder körperlich? Die Antwort der Wissenschaft ist ziemlich ernüchternd: Weil es ihnen Spaß macht. Wenn Menschen grausam sein dürfen, dann entscheidet sich eine gewisse Gruppe von Menschen dazu, grausam zu sein, schlicht weil sie es können, dürfen und wollen.

Folterer arbeiten ähnlich wie Therapeuten: Sie suchen nach Schwachstellen, aber im Gegensatz zu Therapeuten, die helfen wollen, diese zu überwinden oder die Person zu stärken, nutzen Folterer diese Schwachstellen destruktiv, um einen Menschen zu zerstören. Ein Kriminalkommissar formulierte es einmal so: Der erste und größte Fehler im Umgang mit Kriminellen ist es, von ihnen eine Logik zu erwarten, wie wir sie haben. Kriminelle denken ganz anders.

Fachleute kritisieren häufig eine gewisse Verblendung im Umgang mit dieser Gruppe von Menschen, die Verharmlosung der Verantwortung der Täter und die Illusion der Therapierbarkeit von Tätern.

Und die Überlebenden? Wie leben sie nach der Folter? Auch da hat die Wissenschaft viel geforscht. Und es klingt alles sehr deprimierend. Sie benötigen Hilfe, die sie viel zu oft nicht oder zu wenig bekommen.

Wenn man alle diese Berichte liest, dann brechen Zahlen und erschütternde Berichte über einen herein. Können wir überhaupt helfen oder etwas verändern, wenn wir nicht einmal Stalking und Mobbing, Varianten der Folter, in den Griff bekommen und tagtäglich zulassen, dass bei uns Menschen davon zerstört werden?

Andererseits haben wir es als Gesellschaft schon öfter geschafft, Ungerechtigkeit und destruktive Verhaltensweisen in den Griff zu bekommen. Und wir haben so einige überwunden, im Kleinen wie im Großen: Sklaverei, Leibeigenschaft, die Prügelstrafe und anderes wurden abgeschafft. Vielleicht braucht es einfach “nur” eine gute Portion Zuversicht, engagierte Menschen und das Gebet, um etwas zu verändern?

Diesen Monat bittet unser Papst uns um unser Gebet für das Ende von Folter, und dass den Opfern geholfen wird. Es ist ein ernstes und erschütterndes Thema. Und es ist aktuell, denn in 141 Ländern wird gefoltert, mit alten und neuen Methoden, und auch der Fortschritt wird zum Foltern missbraucht. Da gibt es nichts Versöhnliches, nichts Beschwichtigendes zu sagen. Es ist ein echtes Übel. Und es produziert so viele Opfer. Umso dringender ist unser Gebet. Also beten wir!

Simone Nefiodow, Dipl.-Theologin

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