Aufnahme Mariens in den Himmel (H)

Predigtimpuls

„Mariä Himmelfahrt“

1. Lesung: Offb 11,19a; 12,1-6a.10ab
2. Lesung: 1Kor15,20-27a
Evangelium: Lk 1,39-56
Zum Kantillieren des Evangeliums: www.stuerber.de

Am 1. November 1950 verkündete Papst Pius XII. das Dogma von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel. Vorausgegangen war eine weltweite Befragung der Bischöfe, ob die Überzeugung, der Leib Mariens sei nach ihrem Hinscheiden nicht der Verwesung anheimgefallen, sondern ihre ganze leib-seelische Existenz sei unmittelbar zu Gott entrückt worden, allgemeinkirchlicher Glaube sei. Aufgrund der einhelligen Bestätigung dieser Glaubensüberzeugung wagte es der Papst seit der Verkündigung des Unfehlbarkeitsdogmas im Jahre 1870 zum ersten Mal, von seiner höchsten Autorität Gebrauch zu machen und mit letzter Verbindlichkeit den Glaubenssatz zu verkünden: „Wir verkünden, erklären und definieren es als ein von Gott geoffenbartes Dogma, dass die unbefleckte, allzeit jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Ablauf ihres irdischen Lebens mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen wurde.“
Freilich, es mag sein, dass in unserer Zeit viele Christen auf das heutige Festgeheimnis eher verlegen reagieren und nicht mehr recht etwas damit anzufangen wissen. Die Bedeutung und Tragweite dieser Dogmatisierung kommt wohl erst dann zu Gesicht, wenn man sie in den zeitgeschichtlichen Kontext stellt, in den hinein sie verkündet wurde. Der Zweite Weltkrieg lag gerade einmal fünf Jahre zurück und damit eine Zeit, in der menschliches Leben so gut wie nichts mehr zu gelten schien. Zig-millionenfach erschossen und verstümmelt im höllischen Artilleriefeuer, millionenfach vergast mit technischer Perfektion, tausendfach missbraucht zu medizinischen Experimenten und anschließend weggeworfen wie unbrauchbar gewordenes Material, hunderttausendfach vernichtet im Bombenterror aller Kriegsparteien und im Abwurf zweier Atombomben von einer Sekunde auf die andere – der geschundene und in seiner Würde geschändete Mensch mitsamt seinem Tod verlor sein individuelles, einmaliges Gesicht. Das Einzelschicksal ging unter in der gesichtslosen Masse einer anonymen Zahl. Unvorstellbare 50 Millionen Menschenleben wurden Opfer eines restlos sinnlosen Mordens.
Fünf Jahre nach diesem Inferno nun das Dogma von der leiblichen Aufnahme einer von Katholiken und Orthodoxen gleichermaßen verehrten einzelnen Frau. Der bekannte Schweizer Psychologe C.G. Jung hatte anlässlich dieser Dogmatisierung für seinen ganzen Züricher Schülerkreis einen Seminartag angesetzt. Wie Jung selbst waren die allermeisten Protestanten, und man könnte meinen, dass sie nun am allerwenigsten etwas mit diesem katholischen Ereignis hätten anfangen können. Doch weit gefehlt. C.G. Jung nannte damals das Dogma eine geniale Antwort der Kirche auf das Erleben der Menschenverachtung und scheinbaren Wertlosigkeit des menschlichen Lebens während des Zweiten Weltkriegs. In dieser einen jüdischen Frau sollte der unvergängliche und zur Ewigkeit berufene Wert eines jeden menschlichen Lebens aller Welt vor Augen gestellt werden.
Aber nicht nur das. Jung verstand das Dogma auch als Antwort auf die zu dieser Zeit vorherrschende Geistesrichtung des sog. Existentialismus. Dieser hatte auf die Erfahrung des letzten Krieges mit einem Daseinsekel reagiert, der zu einer Weltanschauung hochstilisiert wurde. Die absolute Sinnlosigkeit und Absurdität des Daseins wurden in manchen Kreisen zum bestimmenden Lebensgefühl. Der Mensch galt als ein in ein absolut sinnloses Dasein „geworfenes“ Wesen – geworfen wie eben ein Säugetier seine Brut wirft; ein Wesen, dessen Pseudogröße darin bestehe, diese Sinnlosigkeit und Absurdität, also letztlich das Nichts, auf das wir hinleben, auszuhalten.
Gegen dieses Nein setzte nun die Kirche die Fülle eines großen Ja; gegen den Nihilismus die bejahende Kraft des christlichen Glaubens; gegen die praktisch erfahrene und in eine philosophische Theorie gegossene Verneinung von Sinn und Wert menschlichen Daseins ein von Gott kommendes entschiedenes Ja genau dazu, nämlich zu Sinn und Wert jedes einzelnen Menschen, anschaubar in Maria, über deren letztes Geschick hier ein Glaubenssatz verkündet wurde.
Aus all dem wird klar, dass in diesem Dogma gerade nicht einfach nur etwas über Maria ausgesagt werden sollte. Vielmehr wurde darin eine Auskunft gegeben, die alle Menschen betrifft, eine allen geltende Hoffnung. Im Klartext: Was Maria aufgrund ihrer Sündelosigkeit schon in ihrem Tod gewährt wurde, ihre leib-seelische Vollendung bei Gott, ist zugleich eine Verheißung für jeden Menschen guten Willens. In und an ihr sehen wir, wozu wir alle berufen sind: jedes menschliche Leben hat einen durch den Tod nicht vereitelten Sinn und damit vor Gott einen unbedingten Wert. Und zwar nicht nur die geistige Wirklichkeit des Menschen betreffend, sondern den Menschen ganz, auch in seiner leiblichen Verfasstheit. Alles, was wir mit diesem unseren Leib gelebt, getan und erlitten haben, soll einmal Aufnahme finden in Gottes Herrlichkeit, sofern es nur in Gott gelebt, getan und gelitten wurde. Weil Maria in ihrem Leben nichts verübt hatte, was in irgendeiner Weise dem Willen Gottes widersprochen hätte, deswegen glaubt die Kirche, dass sie, so wie ihr Sohn, nicht den „Sold der Sünde“, wie es Paulus ausdrückt, empfing, nämlich die mit dem Tod einhergehende körperliche Verwesung. Vielmehr, weil ihr Leben, so wie sie es in ihrem Leib gelebt hatte, uneingeschränkt ewigkeitsfähig war, deswegen konnte es in seiner ganzen Integrität in den Himmel eingehen.
Das aber kann im Gegensatz dazu von keinem anderen Menschen gesagt werden. Selbst das unschuldige Kleinkind, das noch gar keine persönliche Schuld haben konnte, ist durch das, was die Kirche Erbschuld nennt, hineingenommen in einen Schuldzusammenhang, dessen Konsequenz aus Tod und Verwesung es mit allen anderen Menschen teilt. Aber an Maria, der ohne Erbschuld Empfangenen, die ihre Freiheit ausschließlich zum Guten gebrauchte – obwohl auch sie, wie jeder andere Mensch, ihre Freiheit gegen Gottes Willen hätte wenden können – will Gott uns anschauen lassen, zu welcher Zukunft wir berufen sind: Alles, was wir in unserem Leib gelebt haben und ewigkeitsfähig ist, wird einmal ewige Auf- und Annahme bei Gott finden.
Diese Hochschätzung auch des Leibes zeigt, dass es im christlichen Glauben, wenn wir ihn richtig verstehen, keinerlei Ansatz für Leibverachtung gibt. Und noch weniger für jene zynische Menschenverachtung, für die das sich so fortschrittlich dünkende 20. Jahrhundert, Gott sei es geklagt, leider auch steht. Die Antwort, die Gott auf jedwede Entwertung von Leben und Tod des Menschen in Maria gegeben, die die Kirche als Glaubenssatz verkündet hat und die wir heute am Fest Mariä Himmelfahrt feiern, will auf eine nochmals neue Weise unsere Hoffnung stärken. Denn das heutige Fest könnten wir gleichsam als ein kleines Osterfest bezeichnen, weil es uns in der Mutter Jesu die Frucht zeigt, die aus dem großen Osterfest ihres Sohnes erwächst: dass Gott auch unser Leben einmal mit Leib und Seele vollenden möchte. Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen Maria stets ein Zeichen dieser Hoffnung sei.

Pfr. Bodo Windolf; Pfr.

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