Am einfachsten könnte man Spiritualität oder Leben im Geist beschreiben als die Weise, in der der Heilige Geist mich führt, in den drei Grundbeziehungen zu wachsen; mir selbst, Gott, anderen (und der Schöpfung) gegenüber in der Nachfolge Christi als Steyler Missionar. Auf diese Weise erfüllt der Hl. Geist Gottes Traum für unsere Welt: Leben in Fülle für alle Menschen. Das war das Ziel der Sendung Christi.
Um die dynamische Qualität diese lebenslangen Prozesses aufzuzeigen, eignet sich das Bild vom Unterwegssein. Der Ruf an Abraham und Sarah, im Vertrauen auf Gott in ein anderes Land zu ziehen, wurde von Israel als Modell für sein eigenes Wachsen angesehen. Im Neuen Testament schildert Lukas das öffentliche Leben Jesu als eine Reise von Galilea zu seinem Tod in Jerusalem. In der Apostelgeschichte nennt er die Christen „Anhänger des Weges“. Das christliche Leben ist Teilhabe an diesem österlichen Unterwegssein.
Diese Sicht offenbart die menschliche Person, als jemand, der immer unterwegs ist; die nie vollständig, nie vollkommen ist. Nie können wir sagen, dass wir bereits angekommen sind. Wir müssen Geduld haben und mitleidsvoll mit uns selber sein. Das Unterwegssein zählt – mehr als die Erwartung, zur Vollkommenheit zu gelangen. Wir sind unvollständig, nicht weil wir viele Mängel haben, sondern weil wir unvollständig sind! Und doch, wie Paulus sagt, „Wir alle spiegeln mit unverhüllten Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit durch den Geist des Herrn“ (2 Kor 3,18). Unsere Reise soll eine Entfaltung unserer Gaben sein.
Spiritualität ist so unser vom Geist inspiriertes Streben, immer ganzheitlicher Mensch zu werden, indem wir auf die Wirklichkeit unseres Lebens antworten. Jede Erfahrung, mit der ich in rechter Weise umgehe, befähigt mich zum guten Umgang mit weiteren Erfahrungen.
Dabei ist unsere Beziehung zu Gott von entscheidender Bedeutung. Denn der Hl. Geist ruft und befähigt uns zum Wachsen. Meine Spiritualität ist der Weg, auf dem der Geist mich über meine gegenwärtigen Begrenzungen hinaus zu vollen Personsein hin führt, das ich nach dem Willen des Vaters in der Nachfolge Christi erreichen soll. Wir begegnen Gott in unserer Wirklichkeit. und beginnen die Welt mit den Augen Gottes zu sehen und zu lieben.
Der Prozess dieses Wachstums der Person hängt vom Selbstwertgefühl ab. Die beste Hilfe ist die Überzeugung zu vertiefen: „Ich bin geliebt, deshalb bin ich liebenswert und gut.“ Dies ermöglicht einen Wandel in jeder Person und gründet in der Erfahrung der absoluten und vorbehaltslosen Liebe Gottes. Dies ist die Quelle eines missionarischen Eifers, Freude und Kreativität. „Ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde“ – Brüder und Schwestern. Aus dieser Überzeugung entsteht der Wunsch, Gott zu lieben und zu dienen durch meine Liebe zu den anderen.
Die Erfahrung der Gottesliebe ist ein tägliches Erlebnis, ein weiterwährendes Bewusstsein, das alle Aspekten meines Lebens prägt und gestaltet. Auf diesem Weg gibt es vier Wegweiser der Spiritualität: die Heilige Schrift, die Eucharistie, das Miteinanderteilen, das Gebet. Wegweiser im Sinne von: Wenn du Gott begegnen willst, folge dieser Richtung! Es sind Selbstoffenbarungen Gottes, die uns befähigen Gottes Gegenwart in der „Mission“ - in meiner Wirklichkeit, in meinen Beziehungen zu den anderen - zu schätzen.
In jedem Einzelnen ist ein „Same Gottes“, die Fähigkeit, in Gott zu wachsen, wie eine Pflanze im Licht der Sonne. Diese Gegenwart ist nicht nur eine Kraft; sie ist ein göttliches Innewohnen in den Herzen der Menschen. Das ist das Ziel der Sendung Jesu. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben... Das ist das ewige Leben, den Vater zu erkennen, und Jesus, den er gesandt hat.“ (Joh 10:10; 17;3).
Für Arnold Janssen war dieses Geheimnis der göttlichen Innewohnung die Quelle und das Herz seines geistlichen Lebens, zum Ausdruck gebracht im Mottogebet: „Es lebe das Herz Jesu in den Herzen der Menschen.“ Dies war die Quelle seines missionarischen Eifers. Sie gestaltete seine Haltung zu den Menschen und zur Natur.
Diese Betonung des Geheimnisses des göttlichen Innewohnens kann uns helfen, die missionarische Spiritualität des Stifters zum klaren Ausdruck zu bringen, auf eine Weise, die sich unserer ganz anderen theologischen Weltanschauung anpasst, und die uns deshalb inspirieren kann.
Für Arnold kann alles uns an Gottes Gegenwart zu erinnern: "eine Kirche in der Ferne, genauso die Sonne, Mond, Sterne, Stürme, Berge, Flüsse, Täler, Tiere und Pflanzen." In seinen Ansprachen bevorzugte er, Gottes Gegenwart in der wunderbaren Verschiedenheit der Dinge nachzuweisen: eine Uhr, eine Feder, angenehme Düfte, der Regenwurm, „der zehn Meter in einer Stunde zurücklegt... In allem begegnete er dem Gott seines Herzens in seiner Weisheit, Macht und Schönheit"
Eine direkte Konsequenz Arnolds großer Ehrfurcht vor dieser Liebe Gottes war seine Wertschätzung der Würde und Schönheit jeder Person. Er sprach den Satz, der für eine Zusammenfassung seines Lebens stehen kann: "Der Heilige Geist ist der Gott der Liebe, und ist gekommen, um die Menschen liebenswürdig zu machen vor dem Angesicht Gottes und seine Liebe ihnen zu offenbaren." Sein Missionseifer floss aus dieser Wertschätzung der innewohnenden Liebe Gottes, wodurch die Würde jedes Menschen erhöht wird.
Das ist auch die Basis unseres missionarischen Eifers, obgleich unser Verständnis ganz anders ist als das seine. Heute verehren wir die heiligmachende Gegenwart Gottes in allen Menschen, Kulturen und Religionen. Gott in mir macht mich fähig, Gott in den anderen zu begegnen. Wir sollen nicht nur unseren Nächsten lieben, sondern auch den Gott unseres Nächsten.
Dem Generalkapitel nach besteht unser besonderes Zeugnis für das Reich Gottes darin, seinen universalen Charakter und seine Offenheit für die Vielfalt ins rechte Licht zu rücken. Daher beschreibt es unsere Mission als einen vierfachen Dialog.
Der Dialog mit Menschen der verschiedener Kulturen fordert das Absterben des Ethnozentrismus und des Rassismus, und ein Passing-over zu einem mehr „katholischen“ Geist, der die kulturelle Identität der anderen in Ehren hält. Im Dialog mit Menschen unterschiedlicher Glaubenstraditionen sollen wir uns selbst so erziehen, dass aus Argwohn Vertrauen zu einander werden kann. Dies muss sich in der eigenen Gemeinschaft auswirken, damit wir eine vom Glauben erfüllte, offene, international-interkulturelle, und brüderliche Lebensgemeinschaft aufzubauen.
Dialog ist eine Haltung von Solidarität, Achtung und Liebe. Diese drei Haltungen verbinden unser Leben mit dem Geheimnis des Menschgewordenen Wortes, das wir nachahmen sollen. Aus Liebe hat Gott unser Problem zu seinem eigenen gemacht mit großer Achtung vor unserer menschlichen Situation. Für uns ist unsere missionarische Berufung ein Ruf zur Teilnahme an der Sendung des Dreieinigen Gottes, der durch das Menschgewordene Wort alle Menschen in die Kommunio mit Gott ziehen will.
Josef Freinademetz ist ein Vorbild eines ständigen Passing-over
Im Kontext des Dialogs hat Solidarität viel mit Demut zu tun, denn sie bedeutet die Erkenntnis unserer Unvollkommenheit, dass wir alle unvollkommen und beschränkt sind. Unser Verständnis der religiösen Wahrheit oder irgendeines menschlichen Geheimnisses bleibt immer beschränkt. Es gibt vieles, das wir von einander lernen können. Solidarität ruht auf der Überzeugung, dass es immer mehr gibt, das uns zusammen verbindet als das, was uns trennt, und dass jede Geste, die Menschen näher zueinander bringt, uns auch näher zu Gott bringt, denn Gott wohnt in Gemeinschaft und nicht in Trennung.
Die Betonung des vierfachen Dialogs entfernt sich von der Praxis und der Motivation des Stifters und der der Gründungsgeneration. Doch sein missionarischer Eifer ist uns ein gutes Vorbild. Seine Antwort ist aus dem Traum Gottes gewachsen, „alle die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11:52), so dass Gott alles in allem ist. Deshalb kann das, was das Fundament seiner Spiritualität war, auch die Quelle unserer Spiritualität heute sein, das Geheimnis des in uns innewohnenden Gottes, das uns befähigt, uns selbst und alle andere in Solidarität, Achtung und Liebe zu behandeln.
„Es lebe der heilige dreieinige Gott in den Herzen aller Menschen.“
Pater Peter McHugh SVD (gekürzt)