01. Mai 2005
Wir beten für alle Menschen, die um des Glaubens und der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, stärke und tröste sie in der Kraft des Heiligen Geistes.
Ein Leben für die Landlosen
Sechs Schüsse aus nächster Nähe abgefeuert töteten am 12. Februar 2005 die amerikanische Ordensschwester Dorothy Stang. Sie war 73 Jahre alt und seit 40 Jahren in Brasilien. Schwester Dorothy gehörte dem Orden Unserer Lieben Frau von Namur an. Gedungene Mörder, von Mittelsmännern für wenig Geld angemietet, schossen die Ordensfrau auf einer Landstraße im Regenwald nieder, während sie sich auf dem Weg zu einem Projekt der Ansiedlung landloser Bauern befand. Diese Projekte sind den Großgrund- und Sägewerkbesitzern ein Dorn im Auge, denn sie lassen die Wälder abbrennen, um Weide- und Ackerbauland zu bekommen. Das Land gehört übrigens dem brasilianischen Bundesstaat.
Die Abwesenheit der staatlichen Institutionen, die nur langsam vorangehende Landreform und die Straflosigkeit der Täter führen zu diesen Konflikten, die 1.349 Menschen von 1985 bis 2003 das Leben kostete. Nur 75 dieser Fälle kamen vor Gericht. 108 Personen wurden angeklagt, 44 unter ihnen freigesprochen und 64, darunter nur 15 Auftraggeber oder Hintermänner, verurteilt. Allein im Jahre 2004 wurden 161 Personen, darunter viele Priester und Ordensleute, mit dem Tode bedroht.
Schwester Dorothy reiht sich in die schnell wachsende Zahl von Ordensmännern und -frauen, Priestern, Gewerkschaftsvorsitzenden und einfachen Männern und Frauen ein, die ihre Option für das Leben der Landlosen und Unterdrückten mit dem eigenen Leben bezahlen.
Die Justiz beschützt die Mächtigen, verurteilte Mörder von Landarbeitern fliehen aus den Gefängnissen, einige sogar durch das Haupttor bei Tageslicht, so berichtet der französische Dominikanerpater Henry, der selbst auf der Todesliste steht.
Vor zwanzig Jahren wurde im selben Bundesland, Pará, die brasilianische Ordensschwester Adelaide Molinari von einem bezahlten Mörder erschossen. Der Gewerkschaftler, der sie begleitete, überlebte, wurde aber sechs Jahre später ermordet. Der betrunkene Mörder bekannte später vor Zeugen, die dies der Polizei und dem Gericht mitteilten, seine Tat. Er wurde verhaftet, verschwand aber auf Nimmerwiedersehen aus dem Gefängnis. Jahre später wurde er durch Zufall in Rio de Janeiro aufgespürt, verhaftet und in das Bundesland Pará überführt. Bei der Gerichtsverhandlung im vergangenen Jahr widerrief er seine Aussage und wurde freigesprochen. Der Auftraggeber hat nie vor Gericht gestanden. So will es die Tradition.
Erzbischof Luciano Mendes de Almeida von Mariana nimmt in seinem wöchentlichen Beitrag für eine große brasilianische Tageszeitung zu den Vorfällen Stellung, Er fordert von den staatlichen Institutionen, endlich Maßnahmen zu ergreifen, dass die Rechte der Landlosen und der indigenen Bevölkerung garantiert, die Landreform in die Praxis umgesetzt und der Umweltschutz respektiert werden. Mörder und ihre Hintermänner müssen den Gerichten überführt und abgeurteilt, das Klima der Angst und des Schweigens muss gebrochen werden. Neue Gesetze müssen verabschiedet werden, die auf friedliche Weise Möglichkeiten der Landverteilung, verbunden mit dem notwendigen Umweltschutz, schaffen sollen. Das unschuldig vergossene Blut der Ermordeten, die Tränen und Schreie der Opfer müssen uns wach werden lassen für das Böse in einer Situation, an der wir selbst mitschuldig sind und die von uns allen Umkehr verlangt - mit der Kraft des Heiligen Geistes. Es ist Zeit, Solidarität und soziale Gerechtigkeit - der einzige Weg für den Frieden - als nationale Priorität zu übernehmen.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 3/2005