01. Okt 2005
Wir beten für alle Christen, die in einer Gesellschaft leben, der Gott fremd geworden ist: Hilf ihnen ihren Glauben und ihre Hoffnung zuversichtlich zu bezeugen.
Gottferne nicht gleich Gottlosigkeit
Nach einer Taufe kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die selber nicht getauft war und die von dem, was sie da eben bei der Taufe erlebt hatte, offensichtlich angerührt war. "Ich habe so etwas noch nie erlebt, und wo ich herkomme, da gab es dies nicht," sagte sie mir. Ich hatte den Eindruck, dass es mehr war als nur das Fremde und Außergewöhnliche. Die Freude der Eltern und der Verwandten über die Taufe war in ihren Gesichtern abzulesen. Ja man sprach auch über den eigenen Glauben und die Glaubenspraxis, den regelmäßigen Gottesdienstbesuch, die religiösen Traditionen in der Familie. Lebte diese Frau in einer gewissen "Gottferne"? Vielleicht war sie Gott näher als mancher, der sich als glaubend bezeichnet. Mich ließ ihr Interesse aufhorchen, und ich danke Gott, dass er immer wieder Menschen anrührt und in seine Nähe ruft. Aber was bedeutet das für mich, für eine christliche Gemeinde? Begegnen wir hier nicht dem Suchen des Menschen nach dem, das trägt und Geborgenheit schenkt? Haben dies nicht auch die Johannes-Jünger gemeint, als sie Jesus nachfolgten und er sie fragte: Was sucht ihr? Und sie antworteten: Meister, wo wohnst du? (Joh 1,38)
Anstöße zum Glauben
Menschen fragen wieder nach Gott, nach Inhalten. Sie suchen Halt, weil so vieles, was ihnen Halt und Geborgenheit versprochen hatte, zerbrochen ist. Manchmal aber sind ihre Fragen uns fremd, verschlüsselt, vielleicht sogar provokativ. So vieles kann heute Anstoß zum Glauben sein. Menschen, die lange Zeit keine direkten religiösen Kontakte - sprich Kirchgang etwa - hatten, werden auf einmal durch einen Todesfall in der Familie oder aus dem Kollegenbereich wieder mit Religion und Glaube konfrontiert. Hören sie dann in der Predigt etwas von der Hoffnung, die uns Christen erfüllt - und zwar so, dass sie es auch mit ihrem Leben in Verbindung bringen können? Oder dringen da nur Worthülsen oder so etwas wie "Suaheli" (wie es ein katholischer Rundfunkredakteur einmal ausdrückte) an ihr Ohr? Nur dann, wenn sie etwas vom Gehörten oder Erlebten auch mit ihrem Leben in Verbindung bringen können, auch wenn es vielleicht nur eine Verunsicherung, ein Fragen, ein zögerliches "Vielleicht ist da doch etwas..." ist, dann kann dies für sie zu einem erneuten oder ersten Anstoß zum Glauben werden - und damit zu einer neuen Begegnung mit Gott.
Die Zeichen der Zeit erkennen - und nicht schlafen
Gerade in unserer von audiovisuellen Medien überfluteten Gesellschaft gilt es für uns, sensibel und aufmerksam dies alles zu beobachten und zu lernen, unseren Glauben wieder neu zu buchstabieren; zwischen den Zeilen zu lesen; sanfte Zwischentöne und Sprechversuche wahrzunehmen, die sich einer direkten und offenen Interpretation zunächst verschließen. Manch ein Film, der überhaupt nichts "Religiöses" an sich hat, bietet enorm viel an Möglichkeit, mit dem Zuschauer ins Gespräch zu kommen. Eigene Interpretationen zu wagen, die auch meine Glaubens- und Wertvorstellungen mit ins Spiel bringen, ohne den Gesprächspartner vereinnahmen zu wollen. Gerade die jungen Menschen und all diejenigen, die sich in einer Krisensituation befinden, suchen nach einer Orientierung, die ihnen Hoffnung und Zuversicht gibt.
Dynamik des Glaubens
Der Glaube als ein Sich-Binden und Festmachen in Gott, ist nichts Statisches; er ist lebendig und damit auch offen, ja sogar verwundbar. Er muss sich immer wieder den Herausforderungen des Tages stellen. Und es ist gerade ein Mangel an Glauben, wenn wir uns ängstlich hinter unsere Kirchenmauern verkriechen, weil wir ihm nicht zutrauen, den Stürmen dieser Zeit standhalten zu können. In den Evangelien ist immer wieder auch vom Fragen, ja vom Zweifel der Jünger die Rede - und Jesus weist da die Jünger zurecht: Ihr Kleingläubigen. Er will sie zu einem starken Glauben führen, der Berge versetzen kann. Aber er akzeptiert auch die menschlich begrenzten Möglichkeiten und Fähigkeiten seiner Jünger; ja er ruft sie trotz allem in seine Nachfolge und sendet sie aus (Mission), seine frohmachende und befreiende Botschaft allen weiterzusagen.
Vielleicht ist sogar manche Fragestellung, die an uns herangetragen wird, manches Unverständnis wichtig und erhellend für uns, wieder neu über unseren Glauben nachzudenken und uns auch entsprechend weiterzubilden. Wir dürfen nicht bei einem einmal "gelernten" Glauben aus der Kinderzeit stehen bleiben - der hält freilich nicht mehr stand. Aber mehr noch als intellektuelle Bildung ist gerade für den Glauben die Erfahrung wichtig; der Kontakt mit Menschen, an denen man die Wirkungen des Glaubens ablesen kann.
Das ist ein Zeugnis, das andere einlädt zum Umdenken, zur Bekehrung, die dann auch zur Nachfolge Jesu führt.
Dieser Beitrag ist entnommen aus der Zeitschrift "DIE ANREGUNG" Ausgabe 5/2005