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13. Okt 2023
Ein Vortrag des Friedensforschers Thomas Roithner eröffnete die St. Gabrieler Vortragsreihe 2023/24.
„In den letzten 10 Jahren gab es nie mehr Kriege als heute, nie hat die Welt seit 1989 so viel für Waffen ausgegeben“, konstatierte der Friedensforscher Thomas Roithner bei seinem Vortrag am 10.10.2023 im Rahmen der St. Gabrieler Vortragsreihe „Transformationen gestalten – Mit Aktivist:innen im Gespräch“. Der Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Versöhnungsbund nahm den völkerrechtswidrigen Krieg Russland gegen die Ukraine Ausgangspunkt seiner Betrachtungen unter dem Titel „Europa Macht Frieden. Wie können wir Sicherheit neu denken?“
Die Ukraine und Russland seien bisher nur zu Gesprächen zu ihren jeweiligen Bedingungen bereit, was bis jetzt an den unvereinbaren Interessen scheitere. Auch die westlichen Staaten, die EU und die NATO seien sich uneins, was sie erreichen wollen. Während manche Militärs sich für Verhandlungen aussprechen, meinen andere, dass der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden werde. Bis jetzt zuwenig beachtet werde, was der globale Süden zu diesem Konflikt denke, meinte Roithner. Die Generalversammlung der UN spricht sich für die Herbeiführung von Verhandlungen und diplomatischen Anstrengungen aus.
Doch können Verhandlungen überhaupt funktionieren? Thomas Roithner wies in diesem Zusammenhang auf Daten der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung im Hamburg hin. Diese beschäftige sich damit, wie Kriege, die seit 1945 geführt worden waren, beendet wurden: durch den militärischen Sieg einer Seite, durch Friedensschlüsse nach einem militärischen Patt oder durch Interventionen einer dritten Partei. Dabei hätte sich gezeigt, dass bis 2006 Verhandlungen dominanter waren im Vergleich zu militärischen Siegen.
Thomas Roithner ging in seinem Vortrag auch der Frage nach, was in den letzten Jahren aus dem „Friedensprojekt EU“ geworden sei. Das Referendum von 2016, bei dem die Mehrheit der Briten für den Brexit, also denn Austritt Großbritanniens aus der EU stimmt, hätte weitreichende Folgen gehabt. Nur wenige Tage später, so Roithner, wurde die Globalstrategie der EU beschlossen, in der es um Macht und militärische Instrumente gehe. „Die EU beweist große Kreativität um Rüstung und Militärgüter zu finanzieren. Ich würde mir genauso viel Kreativität für Friedensprojekte wünschen“, betonte der Roithner.
Der Friedensforscher skizzierte, in welche Richtung es in einer europäischen Friedensordnung und Sicherheitspolitik der Zukunft gehen könnte. Wichtig sei es, Sicherheit „neu zu denken“. „Wir müssen uns fragen, welche Sicherheit ist uns wichtig? Es geht um eine gemeinsame und menschliche Sicherheit.“ Nach Ansicht Roithners sollte die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) mehr Bedeutung erhalten. „Die OSZE hat für einige lokale Waffenruhen gesorgt, ich frage mich, warum sie abgewertet wird und ihr Budget relativ klein ist im Vergleich zu den Rüstungsbudgets der Staaten.“
Auch für Vorabtreiben der Reform der Vereinten Nationen sprach sich Thomas Roithner aus. „Die Vereinten Nationen sind nur so mächtig wie die Staaten es möchten.“ Doch immer mehr Staaten stellten ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt. Eine besondere Bedeutung für Friedensbemühungen käme neutralen Staaten zu. „Neutral heißt nicht ‚nichts‘ tun“, so Roithner.
Schließlich könne auch jeder Einzelne etwas tun, z.B. sich in NGO’s engagieren. Ein wichtiges Instrumentarium könnte nach Ansicht Roithners ein Ziviler Friedensdienst (ZFD) sein, dessen Einführung in Österreich Roithner zusammen mit dem Versöhnungsbund und anderen Organisationen in einer Kampagne betreibt und dessen Prüfung im aktuellen Regierungsprogramm verankert ist. Das Projekt sieht den Einsatz von spezifisch ausgebildeten und erfahrenen Friedensfachkräften vor, die lokale Partnerorganisationen in lokalen Krisen- und Konfliktgebieten unterstützen. In Deutschland ist der es d Zivilen Friedensdienst bereits. Seit einigen Jahren erfolgreich tätig. „Der ZFD stellt keinen Ersatz für Außenpolitik dar, kann aber eine gute Ergänzung sein.“
Auf die Frage, wo er als Friedensforscher, angesichts der aktuellen Krisen und Kriege auch Erfolge in Sachen Frieden sehe, führte Roithner den Atomwaffenverbotsvertrag an, der 2021, führte Roithner den Atomwaffenverbotsvertrag an, der 2021 – nachdem dieser von 50 Staaten ratifiziert wurde – in Kraft trat. Die Atommächte und die meisten NATO-Staaten unterzeichneten den Vertrag zwar nicht, er stelle aber dennoch eine Zwischenetappe dar und sei eine „Erfolgsgeschichte“.